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Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht: Entlassung oder Pensionierung?

Eine betrübliche beamtenrechtliche Situation: die Dienstunfähigkeit eines Beamten oder einer Beamtin tritt ein, bevor eine Dienstzeit von fünf Jahren absolviert wurde.
Mit diesem Problem haben vorwiegend Beamte auf Widerruf oder auf Probe zu kämpfen, aber sogar Beamte auf Lebenszeit können betroffen sein. Denn auch bei Beamten auf Lebenszeit soll Versorgung grundsätzlich erst nach einer Dienstzeit von fünf Jahren gewährt werden, wie sich aus den Beamtenversorgungsgesetzen ergibt.

In diesen Fällen ist aber zu prüfen, ob die Dienstunfähigkeit erst durch den Dienst hervorgerufen wurde.
Darum geht es in dem nachstehenden Fall, in dem das Gericht dem Dienstherrn vorhält, diese Prüfung nicht vorgenommen zu haben.
Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 27.04.05, 6 B 2735/04

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs einer Beamtin auf Probe gegen eine Entlassungsverfügung wird wieder hergestellt, weil nicht geprüft wurde, ob sie in den Ruhestand zu versetzen (und nicht zu entlassen) ist.

[Zum Verständnis:
1. Wird ein Beamter auf Probe dienstunfähig, dann kommt entweder eine Entlassung oder eine Versetzung in den Ruhestand in Betracht.
2. Die zitierten Gesetze wurden inzwischen geändert, aber die Rahmenbedingungen sind noch die gleichen.]

1.
Unzweifelhaft ist die für eine Entlassung erforderliche Dienstunfähigkeit gegeben. ...
Es sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW erfüllt. Die Beamtin hat seit ...... infolge ihrer Erkrankung keinen Dienst mehr geleistet und auch nicht dargetan, dass Aussicht auf Wiederherstellung ihrer vollständigen Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate besteht. In einem Gutachten hat die Amtsärztin dazu ausgeführt: "Die depressive Erkrankung in Kombination mit Angst konnte durch verschiedene therapeutische Maßnahmen (Therapie mit einem angstlösenden Medikament, ambulante und stationäre Psychotherapie) gebessert werden. Allerdings ist Frau Y noch nicht wieder voll dienstfähig, da sie weiterhin der medikamentösen Therapie und auch der Psychotherapie bedarf. Es muss bezweifelt werden, dass Frau Y in sechs Monaten an einer Hauptschule wieder voll dienstfähig sein könnte."
Soweit die Amtsärztin in dem Gutachten eine Umsetzung der Antragstellerin zu einer anderen Schulform zwecks gesundheitlicher und beruflicher Rehabilitation empfiehlt, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn hinsichtlich der Frage der Dienstfähigkeit ist entscheidend, ob die Antragstellerin die Dienstpflichten des Amtes einer Hauptschullehrerin erfüllen kann, was durch die Amtsärztin verneint worden ist.

2.
Derzeit kann aber nicht abschließend beurteilt werden, ob die Antragstellerin in den Ruhestand zu versetzen ist. Nach § 49 Abs. 1 LBG NRW ist der Beamte auf Probe in den Ruhestand zu versetzen, wenn er infolge Krankheit, Verwundung oder sonstiger Beschädigung, die er sich ohne grobes Verschulden in Ausübung oder aus Veranlassung des Dienstes zugezogen hat, dienstunfähig geworden ist.
Zur Zeit kann nicht beurteilt werden, ob die nach dieser Vorschrift erforderliche Kausalität zwischen der Dienstausübung und der Erkrankung gegeben ist.

Die von der Bezirksregierung auch insoweit zu Rate gezogene Amtsärztin hat dazu ausgeführt: "Zusammenfassend ergibt sich kein vollständig klares Bild der Panikerkrankung der Patientin. Aus diesem Grunde schlage ich die ausführliche psychiatrische Zusatzbegutachtung der Patientin ... vor." An dieser Auffassung hat sie in dem zwischen ihr und der Bezirksregierung geführten Telefonat festgehalten. Darin hat sie erklärt, nach der Erörterung des Falles sei in der amtsärztlichen Besprechung mehrheitlich vorgeschlagen worden, eine ausführliche psychiatrische Zusatzbegutachtung durch Prof. Dr. O durchführen zu lassen. Ob die Antragstellerin belastet wäre, wenn sie nie an der Hauptschule A.  gewesen wäre, könne sie - die Amtsärztin - nicht beurteilen.

Der Senat sieht keine Veranlassung, dieser Einschätzung nicht zu folgen. Insbesondere kann der Antragstellerin trotz Ungereimtheiten in ihrem Vorbringen nicht von vornherein die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Insoweit ist nämlich zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass sich an der Schule der Antragstellerin zwei Vorfälle ereignet haben, in die die Antragstellerin verwickelt war.

Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass die Amtsärztin in dem genannten Telefongespräch ferner ausgeführt hat, sie bezweifle, dass die Ereignisse an dieser Schule hinreichend für eine posttraumatische Belastungsstörung seien, denn gleichwohl haben sich die Teilnehmer der amtsärztlichen Besprechung für eine psychiatrische Zusatzbegutachtung der Antragstellerin ausgesprochen.

Der Antragsgegner kann sich nicht darauf berufen, dass die Antragstellerin im Rahmen des § 49 Abs. 1 LBG NRW beweispflichtig sei und die insoweit bestehenden Unsicherheiten zu ihren Lasten gingen. Die insoweit bestehende materielle Beweislast entbindet den Dienstherrn nicht von der ihm auch unter Fürsorgegesichtspunkten obliegenden Pflicht, den für eine Entlassung eines Beamten bedeutsamen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW). Erst wenn feststeht, dass sich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht klären lassen, kann zu Lasten des Beamten entschieden werden. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.1981 - 2 C 17.81 -, ZBR 1982, 307.)
Davon kann nach dem Vorstehenden aber bisher nicht ausgegangen werden.

Soweit die Bezirksregierung ihre Entlassungsverfügung ferner "vorsorglich hilfsweise" auf § 34 Abs. 1 Nr. 2 LBG NRW wegen mangelnder Bewährung auf Grund fehlender gesundheitlicher Eignung gestützt hat, ergibt sich hieraus keine andere Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Verfügung. Liegt infolge des gesundheitlichen Mangels auch eine Dienstunfähigkeit vor, kommt eine Entlassung im Hinblick auf die bereits genannte Einschränkung des § 34 Abs. 1 Nr. 3 LBG NRW nur in Betracht, wenn die Dienstunfähigkeit nicht auf einer Dienstbeschädigung im Sinne von § 49 Abs. 1 LBG NRW beruht.

Die nach allem unabhängig von den Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragsgegners aus. Maßgeblich ist insoweit, dass die Bezirksregierung die hier in Rede stehende Entlassungsverfügung ohne hinreichende Aufklärung des Sachverhalts erlassen und dabei noch klärungsbedürftige Fragen zu Lasten der Antragstellerin gewertet hat. Bei einer derartigen Verfahrensweise seitens des Dienstherrn, die weder mit den dem Dienstherrn obliegenden Fürsorgepflichten noch mit § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG NRW vereinbar ist, muss das aus den von der Bezirksregierung in ihrem Bescheid genannten Gründen durchaus bestehende öffentliche Interesse an einem Sofortvollzug dieser Verfügung hinter das private Interesse der Antragstellerin, von deren Vollzug einstweilen verschont zu bleiben, zurücktreten.


Bitte beachten Sie, dass sich die beamtenrechtlichen Vorschriften geändert haben.
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