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Dienstfähigkeit / Dienstunfähigkeit: psychische Probleme / Verhaltensauffälligkeiten


Wir halten die Fälle für besonders problematisch, in denen Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten oder einer Beamtin mit psychischen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten begründet werden.
Ist eine Beamtin "aus sonstigen gesundheitlichen Gründen", wie die Gesetze formulieren, ihren Aufgaben nicht gewachsen, also dienstunfähig?
Oder liegen Faulheit und Arbeitsverweigerung vor, die disziplinarrechtlich geahndet werden könnten?
Oder hat der Beamte / die Beamte nur Probleme mit  einer bestimmten dienstlichen Verwendung oder einem speziellen Umfeld?
Das VG Bremen hatte vor längerer Zeit in einem solchen Fall zu entscheiden.


VG Bremen, Beschluss vom 04.11.03 - 6 V 1440/03 -

Die Antragstellerin hat sich zur amtsärztlichen Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit einzufinden.


I. Die Antragstellerin, Beamtin auf Lebenszeit, ist Verwaltungssekretärin im Dienst der Antragsgegnerin.
Von April 1998 bis März 2001 war sie nacheinander fünf unterschiedlichen Dienstposten zugewiesen.
Aus Sicht der Dienststellen gab es Probleme mit der Arbeitsmotivation, der Kooperationsbereitschaft und dem Umgang der Antragstellerin mit ihren Kollegen. Die Zuweisungen wurden aufgrund dieser Probleme jeweils beendet.
Eine am 12.06.01 durchgeführte amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin durch das Gesundheitsamt Bremen führte zu dem Ergebnis, dass keine gesundheitsbedingte Leistungseinschränkung bestehe.
Nachdem weitere „Arbeitsversuche“ abgebrochen worden waren, teilte der Senator der Antragstellerin unter dem 07.01.02 mit, er sehe keine Möglichkeit mehr, sie in einer anderen Dienststelle einzusetzen, und er werde wegen ihres Verhaltens in den Beschäftigungsdienststellen disziplinarische Vorermittlungen veranlassen.
Am 18.10.02 wurde gegen die Antragstellerin ein förmliches Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst eingeleitet. Sie sei in den vergangenen Jahren entweder durch eine ausgesprochen nachlässige oder lustlose Arbeitsweise aufgefallen oder durch reine Arbeitsverweigerung.
Zugleich wurde die Antragstellerin unter Einbehaltung von 10% ihrer Bezüge vom Dienst suspendiert. Diese vorläufigen Maßnahmen wurden durch die Disziplinarkammer beim VG Bremen im April 2003 aufgehoben. Das Disziplinarverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Die Behörden kamen überein, die Antragstellerin beim Gesundheitsamt Bremen einzusetzen.
Unter dem 11.06.03 führte der Leiter des Gesundheitsamtes Bremen aus, er halte die Antragstellerin für seelisch krank und dienstunfähig und empfehle eine Begutachtung durch die Chefärzte für Psychiatrie im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost. Zu dieser Einschätzung sei er auf dem Hintergrund seiner Qualifikation als Sozialmediziner und Psychiater aufgrund des von der Antragstellerin in drei Gesprächen gezeigten Verhaltens gekommen.
Mit Verfügung vom 31.07.03 ordnete der Senator die amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin an.

Die Antragstellerin legte gegen diese Verfügung Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Bremen. Die Stellungnahme des Leiters des Gesundheitsamtes Bremen stelle einen unqualifizierten Versuch dar, die Antragstellerin als psychisch krank zu stigmatisieren. Ihre dem Konflikt mit dem Dienstherrn zugrunde liegende Erwartung, dauerhaft einen Arbeitsplatz zugewiesen zu bekommen, sei berechtigt.


II. Wie die bremischen Verwaltungsgerichte wiederholt entschieden haben, richtet sich vorläufiger Rechtsschutz gegen eine auf § 43 Abs. 1 Satz 3 BremBG gestützte Anordnung nach § 80 Abs. 5 VwGO.
[Anmerkung: Dies dürfte heute - nämlich seit 2020 - nicht mehr gelten.]

Die Kammer entscheidet aufgrund eigenen Ermessens. Danach bleibt es bei der sofort vollziehbaren Verpflichtung der Antragstellerin, an einer (amts-)ärztlichen Untersuchung ihrer Dienstfähigkeit mitzuwirken.

1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 3 BremBG bieten "Zweifel über die Dienstunfähigkeit" Anlass für die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung des Beamten. Die Vorschrift konkretisiert die beamtenrechtlichen Treue-, Hingabe- und Gehorsamspflichten für den Fall von Zweifeln an der Dienstfähigkeit des Beamten im Sinne einer umfassenden Mitwirkungspflicht des Beamten an den erforderlichen ärztlichen Untersuchungen und ist deshalb auf alle Fälle anwendbar, in denen aus dienstlichen Gründen berechtigter Anlass zur Prüfung besteht, ob der Beamte den Anforderungen seines Amtes in gesundheitlicher Hinsicht noch (voll) gerecht wird.
Der Anlass ist berechtigt, wenn Tatsachen vorliegen, die einen dienstlichen Klärungsbedarf bezüglich des Gesundheitszustandes des Beamten auslösen.
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die ärztliche Untersuchung der Antragstellerin hinreichend durch Tatsachen veranlasst.

Ein hinreichender Anlass für die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung ergibt sich aus Folgendem:
Seit Jahren ist es in allen Dienststellen, in denen die Antragstellerin eingesetzt wurde oder eingesetzt werden sollte, zu erheblichen Konflikten in Bezug auf die Arbeitshaltung und Kooperationsfähigkeit bzw. Kooperationsbereitschaft der Antragstellerin gekommen. Das eingeleitete Disziplinarverfahren basiert auf dem Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit. ...
Nachdem die Antragstellerin aufgrund der disziplinarrechtlichen Suspendierung über einen längeren Zeitraum (Oktober 2002 bis jetzt) gar nicht beschäftigt worden ist, spricht der psychosoziale Fachdienst in seinem Bericht vom 23.06.03 davon, dass die Antragstellerin, eine „ausgeprägte Opferhaltung“ angenommen habe; sie habe keine eigenen Konfliktanteile benennen können. Dass eine solche Haltung der Antragstellerin und ihr bisheriges Arbeitsverhalten die Anforderungen ihres Amtes berühren, liegt auf der Hand. Die schwierige Frage, ob ihre Haltung und ihr bisheriges Arbeitsverhalten jedenfalls auch durch gesundheitliche Gründe in der Person der Antragstellerin zu erklären sind oder ob dies auszuschließen ist, kann nur mit Hilfe ärztlichen Sachverstandes geklärt werden. Auf diese Klärung ist der Dienstherr angewiesen, um in dem in der Vergangenheit durch erhebliche Konflikte gekennzeichneten Beamtenverhältnis mit der Antragstellerin angemessen sowohl im Disziplinarverfahren als auch darüber entscheiden zu können, ob und ggf. in welcher Weise die Antragstellerin künftig dienstlich eingesetzt werden soll. Die ärztliche Untersuchung der Antragstellerin ist daher durch dienstliche Gründe gerechtfertigt. Sie ist unter diesen Umständen auch der Antragstellerin zuzumuten und ihr gegenüber nicht etwa diskriminierend (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.00 - 2 A 3.99).

2. ....


Hinweis: Wir haben die Entscheidung um viele Aspekte gekürzt. Sie befasst sich unter anderem später noch mit der Frage, ob in seltenen Einzelfällen "neutrale" Ärzte statt der eigentlich zuständigen Amtsärzte heranzuziehen sind.

Bedenklich erscheint uns die am Ende der Entscheidung zum Ausdruck kommende Meinung, die Ergebnisse einer amtsärztlichen Untersuchung könnten (ohne Weiteres?) auch im Disziplinarverfahren berücksichtigt werden.
Man sollte möglicherweise das Disziplinarverfahren aussetzen, bis zur Frage der Dienstfähigkeit eine abschließende, rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Die Behörden geben bisweilen Amtsarztgutachten aus Zwangspensionierungsverfahren ohne Bedenken zu den Akten des Disziplinarverfahrens. Das ist unseres Erachtens nicht hinzunehmen.
Beamtenrecht / Übersicht Beamtengesetze
Dienstunfähigkeit / Übersicht
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