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Folgen der Verweigerung der Untersuchung auf (Polizeivollzugs-) Dienstuntauglichkeit

In der nachfolgenden Entscheidung aus dem Jahr 2012 stellt das Bundesverwaltungsgericht dar, welche Schlussfolgerungen aus einer Verweigerung der Untersuchung durch den Beamten gezogen werden können.
Zugleich wird allerdings recht lapidar dargelegt, dass der Beamte "Pech hat", wenn er sich einer unrechtmäßigen Anordnung beugt und sich untersuchen lässt: Dann hat der Beamte später die Ergebnisse gegen sich gelten zu lassen.

Vor diesem Hintergrund versuchten wir Anwälte früher, für unsere Mandanten die Untersuchungsanordnung mit den Mitteln des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens anzugreifen und so Rechtssicherheit zu schaffen.
Das bedeutete für Betroffene, Anwälte und Verwaltungsgerichte einigen Stress, weil oft recht kurzfristig zu agieren war, aber man wusste dann, woran man ist. Diese Möglichkeit ist uns seit 2019 erschwert.
Der Beschluss ist für das anwaltliche Vorgehen in Angelegenheiten dieser Art von überragender Bedeutung, wenngleich einzelne Verwaltungsgerichte anderer Auffassung sind als das Bundesverwaltungsgericht.


Die hier folgende Entscheidung ist dem gegenüber veraltet, aber sie stellte einen maßgeblichen Eckstein in der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar. Man könnte sie als grundlegend bezeichnen.
Die Darstellung der möglichen rechtlichen Konsequenzen aus einer unberechtigten Verweigerung der Untersuchung (trotz rechtmäßiger Anordnung) kann man noch als aktuell ansehen, man kann sich an den Erwägungen auch heute noch orientieren.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.04.12 - BVerwG 2 C 17.10 -

Gründe:

I.
Die Feststellung der Dienstunfähigkeit eines Polizeivollzugsbeamten ist wegen der hierfür bestehenden besonderen Anforderungen des Vollzugsdienstes von der Feststellung der allgemeinen Dienstunfähigkeit eines Beamten zu unterscheiden. Ein Polizeivollzugsbeamter ist nach § 226 Abs. 1 NBG dienstunfähig (§ 54 Abs. 1), wenn er den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für den Polizeivollzugsdienst nicht mehr genügt und nicht zu erwarten ist, dass er seine volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wieder erlangt.
Die Polizeidienstfähigkeit setzt voraus, dass der Polizeivollzugsbeamte zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder seinem statusrechtlichen Amt entsprechenden Stellung einsetzbar ist.
(Urteil vom 03.03.05 - BVerwG 2 C 4.04 -).

Nach § 226 Abs. 2 NBG werden diese Voraussetzungen durch den Dienstvorgesetzten aufgrund des Gutachtens eines Amtsarztes oder eines beamteten Arztes festgestellt. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergibt sich der Nachweis der Polizeidienstunfähigkeit des Klägers nicht aus den ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen zu seinem Gesundheitszustand. Die Polizeiärzte haben die entscheidungserhebliche Frage, ob der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet, uneinheitlich beantwortet.

Der Nachweis kann auch nicht als erbracht gelten, weil sich der Kläger der angeordneten weiteren psychiatrischen Untersuchung verweigert hat: Sind, wie hier, die Folgen der Verweigerung einer ärztlichen Untersuchung, die von der zuständigen Stelle im Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit angeordnet worden ist, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, kann die Verweigerung nach dem aus § 444 ZPO abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsatz zum Nachteil des betroffenen Polizeivollzugsbeamten gewertet werden. Danach kann im Rahmen freier Beweiswürdigung auf die Dienstunfähigkeit geschlossen werden, wenn der Beamte durch sein Verhalten die Feststellung seines Gesundheitszustandes bewusst verhindert.
Die Verpflichtung, sich zur Nachprüfung der Dienstfähigkeit nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen zu lassen, ginge ins Leere, wenn aus einer unberechtigten Weigerung keine Rückschlüsse gezogen werden könnten. Andernfalls hätte es der Beamte in der Hand, die für die Vorbereitung der Feststellung seiner Dienstfähigkeit erforderliche ärztliche Untersuchung erheblich zu erschweren oder zu vereiteln (Urteile vom 27.06.1991 - BVerwG 2 C 40.89 -, vom 18.09.1997 - BVerwG 2 C 33.96 - und vom 26.01.12). Diese Grundsätze gelten auch für eine vom Amts- oder Polizeiarzt für erforderlich gehaltene und vom Dienstherrn daraufhin angeordnete fachärztliche Zusatzuntersuchung.


Diese für den Beamten nachteilige Schlussfolgerung setzt aber eine rechtmäßige Untersuchungsanordnung voraus. Daran fehlt es hier. Die Anordnung der Beklagten vom April 2005, sich durch einen weiteren Psychiater untersuchen zu lassen, ist rechtswidrig, so dass der Kläger ihr nicht Folge leisten musste.

Allerdings war die Verweigerung der Untersuchung nicht schon deshalb rechtlich unbeachtlich, weil der Kläger gegen die Anordnung Klage erhoben hat. Dieser Klage kommt keine aufschiebende Wirkung im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu, weil es sich bei der Anordnung nicht um einen Verwaltungsakt handelt (vgl. zu einer gegenüber einem Ruhestandsbeamten ergangenen Untersuchungsanordnung, Beschluss vom 19.06.00 - BVerwG 1 DB 13.00 - BVerwGE 111, 246 <250>). ...

Als gemischte dienstlich-persönliche Weisung regelt die Untersuchungsanordnung einen einzelnen Schritt in dem gestuften Verfahren, das bei Feststellung seiner Dienstunfähigkeit mit seiner Zurruhesetzung endet.

Wegen ihrer erheblichen Folgen muss die behördliche Anordnung zu einer ärztlichen Untersuchung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen
: Befolgt ein Beamter eine Anordnung zu einer fachpsychiatrischen Untersuchung, so muss er Eingriffe in sein Recht aus Art. 2 Abs. 2 GG wie auch in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht hinnehmen. Die Erhebungen des Psychiaters zum Lebenslauf des Beamten, wie etwa Kindheit, Ausbildung, besondere Krankheiten, und zum konkreten Verhalten auf dem Dienstposten stehen dem Bereich privater Lebensgestaltung noch näher als die rein medizinischen Feststellungen, die bei der angeordneten Untersuchung zu erheben sind (BVerfG, Beschluss vom 24.06.1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69 <82 ff.>).
Weiterhin trägt der Beamte das alleinige Risiko der späteren gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung. Hat der Beamte die Untersuchung verweigert, weil er die Anordnung als rechtswidrig angesehen hat, geht es bei der Würdigung aller Umstände nach dem Rechtsgedanken des § 444 ZPO regelmäßig zu seinen Lasten, wenn das Gericht nachträglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung feststellt.
Unterzieht sich der betroffene Beamte demgegenüber der angeordneten Untersuchung, so kann das Gutachten auch dann verwendet werden, wenn sich die Aufforderung als solche bei einer gerichtlichen Prüfung als nicht berechtigt erweisen sollte. Die Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung ist nach Erstellung des Gutachtens ohne Bedeutung
(vgl. zum Fahrerlaubnisrecht, Urteile vom 05.07.01 - BVerwG 3 C 13.01 - und vom 09.06.05 - BVerwG 3 C 21.04 -; Beschluss vom 05.02.15 - BVerwG 3 B 16.14 - (für den Laien recht abstrakt)).

Die Anordnung muss sich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt werden, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe liegend erscheinen lassen (BVerfG, Beschluss vom 24.06.1993 a.a.O. S. 85 f.; Beschluss vom 20.06.02 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378).

In formeller Hinsicht muss die Anordnung aus sich heraus verständlich sein. Der betroffene Beamte muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermag (Urteil vom 23.10.1980 - BVerwG 2 A 4.78 -). Insbesondere darf die Behörde nicht nach der Überlegung vorgehen, der Betroffene werde schon wissen, „worum es gehe“. Dem Beamten bekannte Umstände müssen in der Anordnung von der zuständigen Stelle zumindest so umschrieben sein, dass für den Betroffenen ohne Weiteres erkennbar wird, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird.

Genügt die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen, kann dieser Mangel nicht dadurch „geheilt“ werden, dass die Behörde nachträglich im Behörden- oder Gerichtsverfahren darlegt, objektiv hätten zum Zeitpunkt der Anordnung tatsächlich Umstände vorgelegen, die ausreichenden Anlass zu Zweifeln an der Dienstfähigkeit des Beamten hätten geben können. Stellt die Behörde im Laufe des Verfahrens fest, dass die in einer ersten Anordnung genannten tatsächlichen Umstände für Zweifel an der Dienstfähigkeit eines Beamten nicht ausreichen, so ist es ihr unbenommen, diese Aufforderung durch eine neue mit der Begründung zu ersetzen, dass zwischenzeitlich zu Tage getretenes weiteres Material deutlicheren Anlass zur Annahme der Dienstunfähigkeit biete. Dies ist dann im Einzelnen darzustellen.
Diesen formellen und inhaltlichen Anforderungen wird die Anordnung der Beklagten vom 14.04.05 nicht gerecht. Sie enthält nur wenige Hinweise auf tatsächliche Umstände und Verhaltensweisen des Klägers, anhand derer dieser die Berechtigung der Aufforderung überprüfen konnte. Zwar wird auf Berichte von Führungskräften der Polizeiinspektion, bei der der Kläger eingesetzt war, über angebliche Auffälligkeiten speziell im Arbeitsverhalten des Klägers verwiesen. Die Personen werden aber weder namentlich genannt noch sind die Vorfälle nach ihrem Datum bestimmt. Damit konnte der Kläger lediglich mutmaßen, welche Ereignisse gemeint sein könnten. Soweit in der Anordnung auf den Bericht des dritten Polizeiarztes Bezug genommen wird, ist zu berücksichtigen, dass dieser Arzt, ebenso wie der erste mit der Untersuchung des Klägers beauftragte Polizeiarzt, aufgrund einer Untersuchung des Klägers eine psychische Erkrankung ausgeschlossen hat. Ferner hat jener Polizeiarzt dem Gutachten des Facharztes für Psychiatrie vom Mai 2004, auf das der zweite mit dem Fall befasste Polizeiarzt seine Annahme der dauernden Polizeidienstunfähigkeit des Klägers gestützt hatte, nachdrücklich die fachliche Eignung abgesprochen. Ungeachtet dessen wird die Würdigung der Weigerung des Klägers in Anbetracht der fallbezogenen Besonderheiten den Anforderungen des § 444 ZPO nicht gerecht. Diese Weigerung war nur ein Umstand, der bei der Entscheidung über die Polizeidienstunfähigkeit zu berücksichtigen war. Zwar hatte die Beklagte den Kläger in der Anordnung auf die Folgen der Verweigerung der Untersuchung hingewiesen. Bei der gebotenen Würdigung sämtlicher Gesichtspunkte hätte aber auch einbezogen werden müssen, dass zwei Polizeiärzte eine psychische Erkrankung des Klägers aufgrund eines eingehenden Gesprächs ausdrücklich verneint hatten.
Der aus § 444 ZPO abgeleitete, allgemeine Rechtsgrundsatz gestattet die Berücksichtigung des die Beweisführung vereitelnden Verhaltens eines Beteiligten zu dessen Nachteil, zwingt aber nicht dazu, einen solchen Schluss in jedem Fall zu ziehen (Beschluss vom 18.02.03 - BVerwG 6 B 10.03 -).
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