Disziplinarverfahren: Bindungswirkung von Strafgerichtsurteilen
Zusammentreffen von Disziplinarverfahren mit Strafverfahren
Aussetzung des Disziplinarverfahrens
Es kommt oft zu einer Aussetzung, also einem Ruhen des Disziplinarverfahrens - § 22 BDG.
Das bedeutet, dass im Disziplinarverfahren zunächst nicht ermittelt wird. Das Disziplinarverfahren ruht vielmehr, bis Anklage erhoben wird oder gar bis ein strafgerichtliches Urteil vorliegt.
Strafbefehle haben eine geringere Bedeutung und nicht unmittelbar eine Bindungswirkung.
Zum Strafbefehl: Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.15 - 2 B 31.14.
Probleme bereitet(e) auch der so genannte Deal in Strafsachen, zu dem sich im Jahr 2013 das Bundesverfassungsgericht geäußert hat. Wie weit soll ein Urteil binden, das auf einer Verständigung der Beteiligten beruht?
Zur gleichen Frage eine noch aktuellere Entscheidung:
Hinzuweisen wäre dann auch noch auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.12.17 - 2 B 59.17 -, den Sie auf der Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts finden.
VG Magdeburg, Beschluss vom 22.05.23 - 15 B 27/22 MD - betrifft den außergewöhnlichen Fall einer noch nicht rechtskräftigen Veurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch ein spanisches Gericht und die Frage, ob bei dieser Konstelltion eine vorläufige Kürzung der Ruhestandsbezüge gerechtfertigt ist.
Das betrifft nicht unmittelbar die Frage der Bindungswirkung, lässt aber erkennen, dass unterschiedliche Rechtssysteme bisweilen zu besonderen Überlegungen Anlass geben.
Noch eindrucksvoller ist vielleicht der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.01.17 in der Sache 2 B 75.16. Sie finden ihn auf der Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts.
Er sei während des Unterrichts zu der damals 11 Jahre alten Schülerin B gegangen, habe ihr ohne Anlass über das Haar gestrichen und gesagt, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren soll er ihr an die Brust gefasst, über die Lippen geleckt und einen Kuss auf den Mund gegeben haben. Die Schülerin soll daraufhin weinend den Unterrichtsraum verlassen haben. Der Lehrer war in einem deshalb durchgeführten Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das Bundesarbeitsgericht stellt seiner Entscheidung folgenden Satz voran:
"Ein Zivilgericht darf sich, um eine eigene Überzeugung davon zu gewinnen, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen."
Bisweilen folgt einer strafgerichtlichen Ahndung keine Disziplinarmaßnahme mehr.
Beachten Sie aber den oben auf dieser Seite gegebenen Hinweis, dass es bei bestimmten Konstellationen trotz Freispruchs im Strafverfahren zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommen kann.
Sie sollten wirklich einen Experten befragen.
Das bedeutet, dass im Disziplinarverfahren zunächst nicht ermittelt wird. Das Disziplinarverfahren ruht vielmehr, bis Anklage erhoben wird oder gar bis ein strafgerichtliches Urteil vorliegt.
Das Urteil des Strafgerichts "gilt" mit seinen Feststellungen auch im Disziplinarverfahren.
Die Ergebnisse des Strafverfahrens, insbesondere des Strafgerichtsurteils, werden u. U. in das Disziplinarverfahren übernommen, § 23 BDG und § 57 BDG-. Man spricht von der Bindung an tatsächliche Feststellungen aus Strafverfahren oder anderen Verfahren.§ 23 Bundesdisziplinargesetz:
(1) Die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, durch das nach § 9 des Bundesbesoldungsgesetzes über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden worden ist, sind im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, bindend.
(2) Die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind nicht bindend, können aber der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden.
[Ähnlich § 57 Bundesdisziplinargesetz für das Disziplinarverfahren vor dem Disziplinargericht.]
(1) Die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren oder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, durch das nach § 9 des Bundesbesoldungsgesetzes über den Verlust der Besoldung bei schuldhaftem Fernbleiben vom Dienst entschieden worden ist, sind im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, bindend.
(2) Die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind nicht bindend, können aber der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden.
Man will doppelte Ermittlungen und voneinander abweichende Ergebnisse vermeiden
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Sinn der gesetzlichen Regelung sehr verständlich beschrieben:Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.09.17 - 2 B 14 .17 -
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Nach § 41 DiszG BE i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28.02.13 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13 und zuletzt Beschluss vom 29.08.17 - 2 B 76.16 -).
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Die Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. Dagegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 08.04.1986 - 1 D 145.85 - BVerwGE 83, 180 und vom 29.05.08 - 2 C 59.07 - juris Rn. 29; Beschlüsse vom 01.03.12 - 2 B 120.11 - IÖD 2012, 127 <129> und vom 09.10.14 - 2 B 60.14 - Rn. 11).
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Nach § 41 DiszG BE i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28.02.13 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13 und zuletzt Beschluss vom 29.08.17 - 2 B 76.16 -).
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Die Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. Dagegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 08.04.1986 - 1 D 145.85 - BVerwGE 83, 180 und vom 29.05.08 - 2 C 59.07 - juris Rn. 29; Beschlüsse vom 01.03.12 - 2 B 120.11 - IÖD 2012, 127 <129> und vom 09.10.14 - 2 B 60.14 - Rn. 11).
Ausnahmen von der Bindungswirkung, Abweichungen von strafgerichtlichen Feststellungen
Zwar sind Abweichungen und Durchbrechungen unter besonderen Umständen möglich, aber die Verteidigung im Strafverfahren sollte bereits die Auswirkungen auf das Disziplinarverfahren berücksichtigen.Strafbefehl, Einstellung des Strafverfahrens, Deal in Strafsachen im Verhältnis zum Disziplinarverfahren
Die Rede ist nur von Urteilen der Strafgerichte.Strafbefehle haben eine geringere Bedeutung und nicht unmittelbar eine Bindungswirkung.
Zum Strafbefehl: Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.15 - 2 B 31.14.
Probleme bereitet(e) auch der so genannte Deal in Strafsachen, zu dem sich im Jahr 2013 das Bundesverfassungsgericht geäußert hat. Wie weit soll ein Urteil binden, das auf einer Verständigung der Beteiligten beruht?
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.03.2021 - BVerwG 2 WD 11.20
Leitsätze
1. § 84 Abs. 1 WDO verbietet nicht die Verwertung von Tatsachenfeststellungen, die im strafgerichtlichen Verfahren auf der Grundlage eines verständigungsbasierten Geständnisses nach Maßgabe des § 257c StPO getroffen wurden.
2. Rügt ein Soldat Mängel des strafgerichtlichen Verfahrens, die weder offensichtlich noch im strafprozessualen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden sind, besteht regelmäßig kein Anlass, sich von den Tatsachenfeststellungen des Strafurteils zu lösen.
Leitsätze
1. § 84 Abs. 1 WDO verbietet nicht die Verwertung von Tatsachenfeststellungen, die im strafgerichtlichen Verfahren auf der Grundlage eines verständigungsbasierten Geständnisses nach Maßgabe des § 257c StPO getroffen wurden.
2. Rügt ein Soldat Mängel des strafgerichtlichen Verfahrens, die weder offensichtlich noch im strafprozessualen Rechtsmittelverfahren geltend gemacht worden sind, besteht regelmäßig kein Anlass, sich von den Tatsachenfeststellungen des Strafurteils zu lösen.
Lösung von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil, weil das Strafurteil falsch ist?
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zur Lösung von
den Feststellungen strafgerichtlicher Urteile wie folgt geäußert (Beschluss vom 24.07.07 - 2 B 65 / 07 -):
1. Die Lösung von den Tatsachenfeststellungen des rechtskräftigen Strafurteils ist nur zulässig, wenn das Disziplinargericht ansonsten auf der Grundlage eines unrichtigen Sachverhalts entscheiden müsste.
2. Darüber hinaus kommt eine Lösung in Betracht, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen, und nach denen die Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen.
3. Eine dem Strafurteil zugrunde liegende Urteilsabsprache lässt die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung nicht ohne weiteres entfallen. Vielmehr setzt eine Lösung von den Tatsachenfeststellungen eines solchen Strafurteils voraus, dass die Absprache wesentlichen Anforderungen nicht genügt, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen unerlässlich sind ....
Ein Strafurteil, das auf einer unzulässigen Absprache beruht, gilt als unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen.
1. Die Lösung von den Tatsachenfeststellungen des rechtskräftigen Strafurteils ist nur zulässig, wenn das Disziplinargericht ansonsten auf der Grundlage eines unrichtigen Sachverhalts entscheiden müsste.
2. Darüber hinaus kommt eine Lösung in Betracht, wenn neue Beweismittel vorgelegt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen, und nach denen die Tatsachenfeststellungen jedenfalls auf erhebliche Zweifel stoßen.
3. Eine dem Strafurteil zugrunde liegende Urteilsabsprache lässt die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung nicht ohne weiteres entfallen. Vielmehr setzt eine Lösung von den Tatsachenfeststellungen eines solchen Strafurteils voraus, dass die Absprache wesentlichen Anforderungen nicht genügt, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zulässigkeit von Urteilsabsprachen unerlässlich sind ....
Ein Strafurteil, das auf einer unzulässigen Absprache beruht, gilt als unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat diese
Grundsätze immer wieder bekräftigt, zum Beispiel in einem Beschluss vom
15.05.13 - 2 B 20.12 -:
Gemäß § 53 Abs. 1 ThürDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind. Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG auch für die Berufungsinstanz.
Diese Aufklärungspflicht wird durch § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG eingeschränkt. Danach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend.
Nach Satz 2 hat das Gericht jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln. Die gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Beschlüsse vom 26.08.10 - BVerwG 2 B 43.10 - und vom 15.03.13 - BVerwG 2 B 22.12).
Wird dies geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach der entsprechenden Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht die Feststellungen der Strafurteile als im Disziplinarverfahren bindend angesehen und unter ausführlicher Würdigung der vorgebrachten Einwände die Möglichkeit einer Lösung von der Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 ThürDG zu Recht verneint. Die Beklagte hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Feststellungen der Strafgerichte hinsichtlich der Unterschlagung offenbar unrichtig waren oder unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind.
Gemäß § 53 Abs. 1 ThürDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind. Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 ThürDG auch für die Berufungsinstanz.
Diese Aufklärungspflicht wird durch § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG eingeschränkt. Danach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend.
Nach Satz 2 hat das Gericht jedoch die nochmalige Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, deren Richtigkeit seine Mitglieder mit Stimmenmehrheit bezweifeln. Die gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges“ auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Beschlüsse vom 26.08.10 - BVerwG 2 B 43.10 - und vom 15.03.13 - BVerwG 2 B 22.12).
Wird dies geltend gemacht, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach der entsprechenden Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht die Feststellungen der Strafurteile als im Disziplinarverfahren bindend angesehen und unter ausführlicher Würdigung der vorgebrachten Einwände die Möglichkeit einer Lösung von der Bindungswirkung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 ThürDG zu Recht verneint. Die Beklagte hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Feststellungen der Strafgerichte hinsichtlich der Unterschlagung offenbar unrichtig waren oder unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind.
Zur gleichen Frage eine noch aktuellere Entscheidung:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.01.14 - BVerwG 2 B 84.13 -:
Bereits nach seinem Wortlaut setzt § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG für die Bindung der Disziplinarorgane ein rechtskräftiges Strafurteil voraus. ...
Die Verwaltungsgerichte sind nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen, aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig oder in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen.
Bereits nach seinem Wortlaut setzt § 16 Abs. 1 Satz 1 ThürDG für die Bindung der Disziplinarorgane ein rechtskräftiges Strafurteil voraus. ...
Die Verwaltungsgerichte sind nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten „sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in Widerspruch zu Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen stehen, aus sonstigen Gründen offenbar unrichtig oder in einem ausschlaggebenden Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen.
Hinzuweisen wäre dann auch noch auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.12.17 - 2 B 59.17 -, den Sie auf der Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts finden.
Bidungswirkung ausländischer Strafurteile im Disziplinarverfahren nach deutschem Recht
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19.04.18 - BVerwG 2 C 59.16 -
Leitsatz:
§ 57 Abs. 1 BDG erfasst grundsätzlich auch ausländische rechtskräftige Strafurteile. Die Bindungswirkung entfällt auch hier nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind. Dies kann dann der Fall sein, wenn im Strafverfahren rechtsstaatliche Mindeststandards nicht eingehalten worden sind. Verfassungs-, Unions- und Konventionsrecht stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
Leitsatz:
§ 57 Abs. 1 BDG erfasst grundsätzlich auch ausländische rechtskräftige Strafurteile. Die Bindungswirkung entfällt auch hier nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind. Dies kann dann der Fall sein, wenn im Strafverfahren rechtsstaatliche Mindeststandards nicht eingehalten worden sind. Verfassungs-, Unions- und Konventionsrecht stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
VG Magdeburg, Beschluss vom 22.05.23 - 15 B 27/22 MD - betrifft den außergewöhnlichen Fall einer noch nicht rechtskräftigen Veurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch ein spanisches Gericht und die Frage, ob bei dieser Konstelltion eine vorläufige Kürzung der Ruhestandsbezüge gerechtfertigt ist.
Das betrifft nicht unmittelbar die Frage der Bindungswirkung, lässt aber erkennen, dass unterschiedliche Rechtssysteme bisweilen zu besonderen Überlegungen Anlass geben.
Disziplinarische Ahndung trotz Freispruchs im Strafverfahren
Trotz Freispruchs im Strafverfahren kann es bei bestimmten Konstellationen im Disziplinarverfahren eine Sanktionierung bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geben, wenn ein "disziplinarrechtlicher Überhang" vorliegt. Ein Beispiel dafür bietet ein Urteil des OVG NRW, das Sie im Internet finden (Urteil vom 07.12.16 - 3d A 2529/12.O -).Noch eindrucksvoller ist vielleicht der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.01.17 in der Sache 2 B 75.16. Sie finden ihn auf der Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts.
Bedeutung von Strafgerichtsurteilen für das Arbeitsrecht
Aus dem Arbeitsrecht ist zum Beispiel das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.10.14 - 2 AZR 865/13 - erwähnenswert, welches die außerordentliche Kündigung eines angestellten Lehrers für rechtmäßig erklärt, dem folgendes vorgeworfen worden war:Er sei während des Unterrichts zu der damals 11 Jahre alten Schülerin B gegangen, habe ihr ohne Anlass über das Haar gestrichen und gesagt, dass sie ein schönes Mädchen sei. Des Weiteren soll er ihr an die Brust gefasst, über die Lippen geleckt und einen Kuss auf den Mund gegeben haben. Die Schülerin soll daraufhin weinend den Unterrichtsraum verlassen haben. Der Lehrer war in einem deshalb durchgeführten Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das Bundesarbeitsgericht stellt seiner Entscheidung folgenden Satz voran:
"Ein Zivilgericht darf sich, um eine eigene Überzeugung davon zu gewinnen, ob sich ein bestimmtes Geschehen zugetragen hat, auf ein dazu ergangenes Strafurteil stützen."
Bindungswirkung von Strafgerichtsurteilen bezüglich Schuldfähigkeit
Folgen Sie bitte zu dieser Frage diesem Link."Verbot der Doppelbestrafung" in bestimmten Fällen
Kommt es im Strafverfahren zu einer Bestrafung oder einer Einstellung des Verfahrens gegen eine Buße, so ist eine disziplinarrechtliche Ahndung nur noch unter bestimmten Bedingungen zulässig - § 14 BDG.Bisweilen folgt einer strafgerichtlichen Ahndung keine Disziplinarmaßnahme mehr.
Beachten Sie aber den oben auf dieser Seite gegebenen Hinweis, dass es bei bestimmten Konstellationen trotz Freispruchs im Strafverfahren zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis kommen kann.
Sie sollten wirklich einen Experten befragen.
Das Strafverfahren kann den Verlust des Beamtenstatus mit sich bringen.
Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr, bei bestimmten Delikten aber schon von sechs Monaten oder mehr, kann unmittelbar den Verlust des Beamtenstatus bedeuten. Verlust des Beamtenstatus durch Strafgerichtsurteil.Literatur
Sie finden zu diesen Fragen den Aufsatz von Dr. Ulrich Pflaum, "Strafverfahren und sachgleiches Disziplinarverfahren", in: BayVBl. 2012, 485 ff.Sofern es um die in der Praxis durchaus relevante Frage geht, ob die Einstellung eines Strafverfahrens nach Erfüllung von Auflagen (meistens: Zahlung einer Geldbuße) so etwas wie ein Schuldeingeständnis darstellt, ob man von einer Bindungswirkung oder zumindest einem Indiz für strafbares Verhalten ausgehen kann, sollte der Aufsatz von Felix Rettenmaier, "Außerstrafrechtliche Folgen der Verfahrenseinstellung nach Erfüllung von Auflagen", NJW 2013, 123 ff., herangezogen werden - obwohl er die disziplinarrechtliche Literatur zu wenig berücksichtigt und dadurch einige Erkenntnismöglichkeiten außer Betracht lässt.
In der Schriftenreihe NJW-Praxis widmen sich Herrmann/Sandkuhl in ihrem Buch "Beamtendisziplinarrecht - Beamtenstrafrecht" eingehend diesen Fragen.