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Disziplinarrecht: Alkoholabhängigkeit und Dienstvergehen

Diese Entscheidung entspricht weit mehr unseren Erfahrungen mit der Gerichtsbarkeit als andere von uns vorgestellte Entscheidungen. Denn das OVG NRW hat sich dem Problem des Rückfalls in die nasse Phase offensichtlich sehr gründlich gewidmet und unter anderem einen Gutachter bestellt - was wir in ähnlichen Fällen für unabdingbar halten.
Andere Gerichte messen mit deutlich gröberer Elle und nehmen ein Verschulden des Alkoholabhängigen unter Umständen schon dann an, wenn er einmal eine trockene Phase von sechs Monaten überstanden hat.

Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW, 12D A 533 /00.0, vom 09.07.02

Der disziplinare Vorwurf im Zusammenhang mit einem auf eine Alkoholerkrankung zurückzuführenden Alkoholabusus setzt u. a. voraus, dass der Beamte nach einer erfolgreichen Therapie rückfällig geworden ist. Der Beamte muss in die Lage versetzt worden sein, der Gefahr eines Rückfalls in die sogenannte "nasse Phase" seiner Alkoholabhängigkeit mit Erfolg begegnen zu können.

Wichtige Indizien hierfür sind u.a. der Verlauf und das Ergebnis der Therapie sowie die Dauer und Gestaltung der anschließenden Abstinenzphase, wobei sich der Erfolg einer Kur nicht aus einer bestimmten, zeitlich festgelegten Dauer alkoholischer Enthaltsamkeit ergibt.

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Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die in der Fachklinik durchgeführte Entwöhnungsbehandlung erfolgreich war und den Beamten tatsächlich in die Lage versetzt hat, dem Griff zum "ersten Glas" Alkohol erfolgreich widerstehen zu können.
Die nervenärztliche Stellungnahme der Fachklinik berichtet zwar von einem positiven Therapieverlauf; dargelegt wird namentlich, dass die Krankheitseinsicht und die Abstinenzmotivation vertieft und stabilisiert werden konnten und der Patient den eigenen Status der Alkoholabhängigkeit und die Notwendigkeit absoluter und lebenslanger Abstinenz gegenüber Alkohol und allen anderen psychotropen Substanzen mit Suchtpotenzial akzeptiere; auf Grund dieser positiven Entwicklung könne insgesamt die Rehabilitationsmaßnahme als erfolgreich abgeschlossen angesehen werden.
Doch lässt sich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass dem Ruhestandsbeamten neben der Einsicht in seine Alkoholabhängigkeit zugleich auch die Fähigkeit vermittelt worden ist, der Gefahr eines Rückfalls mit Erfolg begegnen zu können.
Hierzu hätte es insbesondere der Einsicht des Ruhestandsbeamten in die Notwendigkeit begleitender Maßnahmen zur Aufrechterhaltung eines dauerhaften abstinenten Lebenswandels, wie des Eintritts in eine Selbsthilfegruppe, bedurft.
Der Gutachter Dr. G. hat hierzu in der Hauptverhandlung ausgeführt: Nach seinem Bild einer erfolgreichen Therapie gehöre zu ihr auch, dass der Patient in die notwendige Nachbehandlung überführt werde; ausgehend davon, dass der Beamte in die Lage versetzt sein müsse, der Gefahr eines Rückfalls in die Alkoholabhängigkeit mit Erfolg zu begegnen, müsse er deshalb Einschränkungen bei der Feststellung einer erfolgreichen Therapie bezogen auf den Aufenthalt in der Fachklinik machen. Wesentliches Element für einen Erfolg der Therapie wäre die Überleitung in die Selbsthilfegruppe gewesen. Für den Fall, dass eine solche Überleitung nicht bereits durch die Klinik im Verlaufe der Therapie veranlasst werde, wie er es als geboten ansehe, müsse dem Patienten jedenfalls die Einsicht in die Notwendigkeit vermittelt werden, sich selbstständig in eine entsprechende Nachbetreuung zu begeben.
Auch der Entlassungsbericht der Fachklinik an den behandelnden Arzt spricht in diesem Sinne nur davon, dass das Rehabilitationsziel teilweise erreicht worden sei, und hebt im Weiteren die besondere Notwendigkeit stabilisierender Begleitmaßnahmen für ein abstinentes Verhalten hervor. Denn es heißt, dass die Prognose unter der Bedingung der weiteren Stabilisierung in einer Selbsthilfegruppe nicht ungünstig sei.

Demgegenüber fehlte dem Ruhestandsbeamten auch nach der Entwöhnungsbehandlung jegliche Einsicht in seinen Bedarf an weiterer Behandlung und Betreuung, insbesondere in die Notwendigkeit begleitender Maßnahmen wie des Eintritts in eine Selbsthilfegruppe. Die Notwendigkeit solcher Maßnahmen hat der Ruhestandsbeamte - in krankheitstypischer Selbstüberschätzung - von Beginn an abgelehnt. Im Grunde verblieb er in den gleichen (Krankheits-) Strukturen verfangen wie in der vergleichbaren Zeit nach der wegen Alkoholkonsums abgebrochenen und damit sicherlich nicht als erfolgreich zu bezeichnenden Entwöhnungsbehandlung in einer Klinik Anfang der 80er Jahre. Dazu passt es, dass der Gutachter in einem Gutachten aus August 1995 ausführt, dass der Beamte bezüglich seiner Erkrankung trotz vielfacher Therapien letztlich den Ernst der Lage in allen Konsequenzen wohl nicht absehen könne.

Soweit der Ruhestandsbeamte während der Entwöhnungsbehandlung in der Fachklinik zugesagt hatte, sich im Heimatort einer Selbsthilfegruppe anzuschließen und weiterhin Kontakt zur Suchtberatungsstelle zu halten, handelte es sich ersichtlich um ein bloßes Lippenbekenntnis. Er wollte sich als "guter Patient" verhalten. Seine Angaben dazu in der Hauptverhandlung sind überzeugend; das geschilderte Verhalten passt, wie der Gutachter in der Verhandlung bestätigt hat, ins Bild seiner Erkrankung.

Schließlich kann auch der Umstand, dass der Ruhestandsbeamte während der Ehe mit seiner zweiten Frau bis April 1992 trotz schwierigster familiärer Umstände im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung zunächst trocken geblieben ist, nicht als Nachweis für den Erfolg der Behandlung in der Fachklinik angesehen werden. Der Gutachter bestätigte in der Hauptverhandlung, dass es ein anerkanntes Phänomen sei, dass es nicht unter großer Belastung, sondern erst dann, wenn diese Belastung weggefallen sei, zum Absturz des Alkoholikers bzw. zum Ausbruch einer Erkrankung komme.
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