Konkurrentenschutz / dienstliche Beurteilungen
Auch die nachfolgende Entscheidung stellt nur eine Meinungsäußerung dar. Sie finden Argumente zu der Frage, ob bei einer Beförderungsauswahl den dienstlichen Beurteilungen der Bewerber gleich lange Beurteilungszeiträume zugrunde liegen müssen, und Sie werden ggf. diese Argumente verwenden können. Doch ist es nicht sicher, dass andere Gerichte dieser Auffassung folgen.
Generell ist die Vergleichbarkeit dienstlicher Beurteilungen stets "ein Thema".
Verwaltungsgericht Bremen, 6 V 2270/06, Beschluss vom 13.11.2006
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die ausgeschriebene Planstelle der Bes.-Gr. A 10 - Oberinspektor im JVD - bis zum Ablauf von einem Monat nach Zustellung einer Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 25.08.06 oder bis zu einer anderweitigen Erledigung der Sache vorläufig freizuhalten.
Der Streitwert wird auf 9.813,05 Euro festgesetzt.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die ausgeschriebene Planstelle der Bes.-Gr. A 10 - Oberinspektor im JVD - bis zum Ablauf von einem Monat nach Zustellung einer Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 25.08.06 oder bis zu einer anderweitigen Erledigung der Sache vorläufig freizuhalten.
Der Streitwert wird auf 9.813,05 Euro festgesetzt.
I.
Der Antragsteller begehrt im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit die vorläufige Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs. Streitgegenstand ist die von der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bremen ausgeschriebene Planstelle eines Oberinspektors im Justizvollzugsdienst (JVD) - Bes.-Gr. A 10 BBesO.
Diese Planstelle ist nach der Ausschreibung "fliegend" einem Dienstposten eines Vollzugsabteilungsgruppenleiters zugeordnet.
Auf die Stelle haben sich der Antragsteller und der Beigeladene beworben. Beide erfüllen die in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen.
Der Leiter der JVA Bremen nahm aus Anlass der beabsichtigten Stellenbesetzung eine dienstliche Anlassbeurteilung der beiden Bewerber nach Maßgabe der "Richtlinien für die dienstlichen Beurteilungen der Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes der JVA Bremen" vor.
Der Beigeladene wurde für den Beurteilungszeitraum 01.08.04 bis 31.05.2006 mit dem Gesamtergebnis "gut" anlassbeurteilt.
Die Anlassbeurteilung des Antragstellers bezieht sich auf den Beurteilungszeitraum August 2002 bis 01.07.2006. Sie schließt mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" ab.
Gegen seine dienstliche Anlassbeurteilung legte der Antragsteller Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 25.08.2006 lehnte der Leiter der JVA Bremen das Beförderungsgesuch des Antragstellers ab. Entscheidungsrelevant für die Auswahl unter den beiden Bewerbers seien die dienstlichen Beurteilungen gewesen. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller ebenfalls Widerspruch ein.
Über die beiden Widersprüche des Antragstellers ist noch nicht entschieden worden.
Mit dem vorliegenden Eilantrag erstrebt der Antragsteller, die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Ernennung des Beigeladenen vorläufig zu verhindern. Der Antragsteller trägt vor, die Beurteilung sei in einem "dialogischen Verfahren" erstellt worden. Der Erstbeurteiler habe ihm sinngemäß erklärt, er habe sich gehalten gesehen, die Beurteilung des Antragstellers "runter zu schreiben", weil dies sonst "Bremen erledigen würde". Der Antragsteller hält eine Vergleichbarkeit der Bewerber schon wegen der unterschiedlichen Beurteilungszeiträume nicht für gegeben ...
Die Antragsgegnerin stützt die aus ihrer Sicht gegebene Plausibilität der Anlassbeurteilung
des Antragstellers auf eine in der Antragserwiderung wiedergegebene umfangreiche Stellungnahme des Erstbeurteilers. Die unterschiedlichen Beurteilungszeiträume seien dadurch begründet, dass die Beurteilung des Beigeladenen nur die Zeit nach seiner Umsetzung am 01.08.04 erfasse. Der Zeitraum von knapp 2 Jahren sei auch bislang für Anlassbeurteilungen zu Grunde gelegt worden, wenn nach vorheriger Praxis - wie hier - Regelbeurteilungen nicht zu erstellen gewesen seien. Bedienstete des gehobenen Justizvollzugsdienstes seien bislang ausschließlich anlassbezogen beurteilt worden. Zur Zeit würden Regelbeurteilungen auch für Beamte des gehobenen Justizvollzugsdienst erstellt. Im Übrigen erscheine der Beurteilungsunterschied von 2 Notenstufen hier so deutlich, dass die Frage des Beurteilungszeitraums für die Bestenauslese nicht ausschlaggebend sein dürfte.
II.
Der nach § 123 VwGO zulässige Antrag hat Erfolg. Es ist glaubhaft, dass die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung dem Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers nicht genügt (Anordnungsanspruch) und die Durchsetzung dieses Anspruchs durch die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Beförderung des Beigeladenen vereitelt werden würde, wenn keine einstweilige Anordnung erginge (Anordnungsgrund).
1. Nach gegenwärtig ersichtlichem Sach- und Streitstand kann die Kammer nicht davon ausgehen, dass sich die Anlassbeurteilung des Antragstellers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig erweisen wird:
1.1. Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen dagegen, dass der Antragsteller und der Beigeladene für erheblich unterschiedliche Zeitspannen anlassbeurteilt worden sind (Antragsteller: August 2002 bis 01.07.2006 = 3 Jahre 11 Monate; Beigeladener: 01.08.04 bis 31.05.2006 = 1 Jahr 10 Monate).
Der Zweck der dienstlichen Beurteilungen, die Klärung einer am Leistungsprinzip zu beurteilenden Wettbewerbssituation, stellt an die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 26.08.1993 - 2 C 37.91 = DVBl. 1994, 112) ein "Maximum an Anforderungen". Eine größtmögliche Vergleichbarkeit des äußeren Beurteilungsrahmens wird grundsätzlich durch einen gemeinsamen Stichtag und einen gleichen Beurteilungszeitraum erreicht. Die formale Einheitlichkeit des Beurteilungszeitraums soll gewährleisten, dass die zu beurteilenden Leistung für die zu vergleichenden Beamten nicht nur punktuell, sondern in ihrer zeitlichen Entwicklung erfasst wird. Einschränkungen des Gebots der größtmöglichen Vergleichbarkeit sind nur hinzunehmen, soweit sie auf zwingenden Gründen beruhen (zum Ganzen für Regelbeurteilungen vgl.: BVerwG, Urt. v. 18.07.01, - 2 C 37.91 = ZBR 2002, 211 =
NVwZ-RR 1994, 347). Auch Anlassbeurteilungen müssen - um eine Vergleichbarkeit des Bewerberfeldes herzustellen - grundsätzlich im Kern übereinstimmende Beurteilungszeiträume erfassen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 08.06.06 - 1 B 195/06 -; BayVGH, Beschl. v. 20.09.02 - 3 CE 02.2056 -; OVG Saarlouis, Beschl. v. 01.07.1994 - 1 W 38/94; VG Bremen, Urt. v. 07.07.04 - 6 K 1463/02).
Daran gemessen sind die Anlassbeurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen nicht hinreichend vergleichbar. Der Beurteilungszeitraum differiert erheblich. Der Beigeladene ist für einen kurzen und damit eher punktuellen Zeitraum anlassbeurteilt worden; der Antragsteller hingegen für einen mehr als doppelt so langen Zeitraum. Für die Auswahlentscheidung im konkreten Einzelfall ist nach Ansicht der Kammer nicht vernachlässigbar, wie sich die Leistung der Bewerber gerade auch in zeitlicher Hinsicht entwickelt hat. Beide Bewerber sind in ihren vorletzten und vorvorletzten Beurteilungen jeweils ergebnisgleich beurteilt worden, ihnen ist jeweils zum 01.10.03 ein Amt A 9 übertragen worden und ihnen wurden nach der Übertragung zusätzlicher oder anderer Aufgaben - offenbar wegen der zunächst der erforderlichen Einarbeitung - jeweils „anfängliche Umstellungsprobleme" bescheinigt. Dies sind Umstände, die - für sich genommen und bezogen auf die entsprechenden Zeitspannen - durchaus insoweit mehr oder weniger auf einen Leistungsgleichstand hindeuten. Andererseits besteht im Ergebnis der letzten Anlassbeurteilung des Antragstellers und des Beigeladenen immerhin ein Unterschied von 2 Notenstufen nach den Beurteilungsrichtlinien. Die Frage, ob sich diese deutlich unterschiedliche Leistungsentwicklung ganz oder teilweise möglicherweise zumindest auch aus unterschiedlichen Zeitspannen der letzten Anlassbeurteilungen erklärt, kann daher nicht vernachlässigt werden. Zudem schließt die Anlassbeurteilung des Antragstellers - im Gegensatz zur Beurteilung des Beigeladenen - auch noch eine Zeitspanne ein, die er in seinem früheren Statusamt verbracht hat. Hinzu kommt, dass beide Bewerber nach den vom Gericht beigezogenen Beurteilungsrichtlinien zwischenzeitlich eigentlich für einen einheitlichen Zeitraum hätten regelbeurteilt werden müssen. Nach dem Schreiben des Anstaltsleiters vom 16.01.06 war die Regelbeurteilung nach der Neufassung der Beurteilungsrichtlinien nunmehr zum Stichtag 01.04.06 beabsichtigt. Der Antragserwiderung der Antragsgegnerin zufolge wird das Regelbeurteilungsverfahren, das auch die Beurteilung des Antragsteller und des Beigeladenen einschließt, zur Zeit durchgeführt. Nach Beurteilungsrichtlinie und -praxis war somit ebenfalls geboten, dass der Antragsteller und der Beigeladene - zusammen mit den statusamtsgleichen Beamten - zur Gewährleistung maximaler Vergleichbarkeit zu einem einheitlichen Zeitpunkt und für einen einheitlichen Zeitraum beurteilt werden.
Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass sich die unterschiedlichen Beurteilungszeiträume hier aus der am 01.08.04 erfolgten Umsetzung des Beigeladenen erklären, vermag die Kammer darin keinen triftigen Grund zu sehen, der das Gebot der größtmöglichen Vergleichbarkeit einzelfallbezogen relativieren könnte. Die Beurteilungsrichtlinien der JVA Bremen sehen unter Nr. II.2. (für Regel- und Anlassbeurteilungen) vor, dass ggf. der vorherige direkte Vorgesetzte als Mitbeurteiler hinzugezogen wird.
1.2. Für die Kammer unklar geblieben ist bislang der in den aktuellen Anlassbeurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen angewendete Vergleichsmaßstab. In beiden Beurteilungen heißt es in der zusammenfassenden Begründung des Gesamtergebnisses sinngemäß, es sei ein Vergleich aller Mitarbeiter der JVA Bremen im gleichen Statusamt vorgenommen worden. Da der Antragsteller und der Beigeladene Beamte im Statusamt A 9 E sind, müsste es sich um einen Vergleich aller Vollzugsbeamten der JVA Bremen im Eingangsamt des gehobenen Dienstes handeln. Die Stellungnahme der Antragsgegnerin im Eilverfahren erweckt dagegen Zweifel, ob ein solcher Vergleich wirklich vorgenommen worden ist. Denn danach wird diese Gruppe der Vollzugsbeamten zur Zeit (Schriftsatz vom 30.10.06) erstmals regelbeurteilt; vorher sei dieser Personenkreis ausschließlich anlassbezogen beurteilt worden. Hiernach ist unklar, inwieweit der Vergleich aller Vollzugsbeamter der JVA Bremen im Eingangsamt A 9 Grundlage für die Anlassbeurteilung des Antragstellers gewesen sein kann.
1.3. ...
2. Die Kammer geht unter Berücksichtigung der unter 1. dargelegten Umstände davon aus, dass eine andere Auswahl auf der Grundlage einer rechtmäßigen dienstlichen Beurteilung des Antragstellers nach dem Inhalt und Gesamtergebnis der bisherigen Anlassbeurteilungen des Antragsteller und des Beigeladenen zwar nicht gerade überwiegend wahrscheinlich aber auch nicht unmöglich erscheint. Unter diesen Umständen ist die aus dem Tenor ersichtliche einstweiligen Anordnung zu erlassen, weil es dem Gericht verwehrt ist, das Ergebnis einer künftigen rechtmäßigen Beurteilung vorwegzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.09.02 - 2 BvR 857/02 = NVwZ 2003, 200 = ZBR 2002, 427). Hier kommt hinzu, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides für den Antragsteller und für den Beigeladenen möglicherweise bereits Regelbeurteilungen vorliegen werden, die als aktuelle Erkenntnismittel für den Leistungsvergleich heranzuziehen wären.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG. Danach errechnet sich der Streitwert in beamtenrechtlichen Statusverfahren, die die Verleihung eines anderen Amtes betreffen, aus der Hälfte des Dreizehnfachen des Endgrundgehalts des erstrebten Amtes zuzüglich ruhegehaltsfähiger Zulagen (hier: Endgrundgehalt A 10 = 2.852,65 Euro zuzügl. Stellenzulage nach Nr. 12 Vorbem. BBesO = 95,53 Euro zuzügl. allgemeine Stellenzulage nach Nr. 27 Abs. 1 lit. b) Vorbem. BBesO = 71, 22 Euro, insgesamt 3019,40 Euro). Davon ist ein Abschlag von 50 v. H. vorzunehmen, weil lediglich die Freihaltung der Planstelle im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes begehrt wird.