Bedeutung von Beurteilungen und Zulässigkeit
von Auswahlgesprächen bei Beförderungsauswahl
Bedeutung aktueller Leistungsfeststellungen im Konkurrentenstreit /
Vergabe von A11-Stellen bei der Polizei Hamburg / Auswahlverfahren 2006
Die nachstehende Entscheidung entspricht nicht unserer Auffassung, jedenfalls so weit es um einzelne Beförderungen (und nicht um Massenbeförderungen) geht.
Unter Hinweis auf die Entscheidungen anderer Gerichte halten wir eine genauere Betrachtung von Anforderungsprofil einerseite und Beurteilungsinhalt andererseits für geboten.
Aber praktikabler ist sicher die Meinung des Hamburgischen OVG, es könne auf die Beurteilungsendnoten jedenfalls dann abgestellt werden, wenn sich dort ein signifikanter Unterschied ergebe.
Inzwischen ist auch das obsolet, da die Beurteilungen bei der Polizei Hamburg seit einiger Zeit nur noch fünf Endprädikate umfassen, die eine Differenzierung nach dieser Schlussfeststellung meistens nicht zulassen.
Aber nachdem sie damit zu scheitern drohte, hat sich die Polizei Hamburg etwa 2011 / 2012 entschlossen, die Beurteilungen doch wieder konkreter auszuwerten.
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Hamburg
- 1 Bs 380 / 2006 - vom 28.02.07
- 1 Bs 380 / 2006 - vom 28.02.07
1 . Das Verwaltungsgericht hat das Auswahlverfahren beanstandet. Die Antragsgegnerin habe das Auswahlgespräch verfrüht, nämlich vor einer vollständigen Auswertung der Beurteilungsgrundlagen zum Auswahlkriterium gemacht. Sie hätte die in den Beurteilungen der Bewerber für die einzelnen Beurteilungsmerkmale vergebenen Punkte entsprechend dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stellen gewichten müssen. Dem folgt der Senat des Oberverwaltungsgerichts nicht:
Die Antragsgegnerin hat über die Kandidaten anlässlich der Bewerbungen Beurteilungen erstellt, die hinreichend auf das Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stellen abgestellt sind. Die Bindung an das selbst erstellte und in den Stellenausschreibungen zum Ausdruck gebrachte Anforderungsprofil verpflichtete die Antragsgegnerin nicht, einzelne der insgesamt 16 Beurteilungsmerkmale höher als andere zu gewichten. Die hier erstellten Anlassbeurteilungen erlauben es, die Bewerber nicht erst nach Gewichtung der Einzelmerkmale in Hinblick auf die bestmögliche Besetzung der ausgeschriebenen Stellen zu vergleichen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 04.07.06 - 1 Bs 152/06 -). Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin einzelne der Beurteilungsmerkmale, bei denen der Antragsteller und die Beigeladenen zu 6 und 8 um einen Punkt unterschiedliche Bewertungen erhalten haben, unterschiedlich gewichten muss. Es liegt in der originären Beurteilungskompetenz der Antragsgegnerin als Dienstherrin, die die Verwaltungsgerichte zu respektieren haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.08.03, BVerwGE 118, 370), diese Merkmale, nämlich (2.) Urteilsvermögen, (3.) ..., (6.) Berufliches Selbstverständnis / Dienstauffassung, (10.2) Arbeitsgüte, (11.) Fachkenntnisse, (12.1) Psychische Belastbarkeit ... und (12.2) Physische Belastbarkeit ... in Hinblick auf das Anforderungsprofil gleichmäßig zu gewichten.
Insoweit kann offen bleiben, ob die Einzelfeststellungen von Regelbeurteilungen hinsichtlich des Anforderungsprofils auszuwerten sind, um eine Bestenauslese für eine ausgeschriebene Stelle sicherzustellen (vgl. dazu OVG Münster, Beschluss vom 27.02.04, NVwZ-RR 2004, 626; ...).
2. Auch im übrigen sind keine Auswahlfehler erkennbar, ...
Dem bei der Beförderung zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellsten Beurteilungen. Dies hat die Antragsgegnerin getan. Sie hat - soweit ersichtlich - nach gleichen Maßstäben aktuelle Beurteilungen zu dem Leistungsstand der Bewerber erstellt und diese ihren Auswahlentscheidungen zugrunde gelegt (vgl. zur Vorauswahl eines anderen Bewerbers in dem hier interessierenden Auswahlverfahren OVG Hamburg, Beschluss vom 20.02.07 - 1 Bs 356/06 -).
a. Entgegen der Auffassung des Antragstellers gebührt ihm nicht deshalb der Vorrang vor den Beigeladenen, weil er in seiner Anlassbeurteilung 55 Punkte und die Beigeladenen zu 6 und 8 lediglich 53 Punkte erreicht haben. Vielmehr durfte die Antragsgegnerin zur Feststellung des Leistungsstandes zusätzliche Instrumente heranziehen und auch die Ergebnisse der von ihr durchgeführten Auswahlgespräche in ihre Auswahlentscheidung einbeziehen.
a.a. Die über den Antragsteller und die Beigeladenen erstellten Beurteilungen weisen einen im Wesentlichen gleichen Leistungsstand aus. Der Vorsprung von nur 2 Punkten besagt bei einer Bewertung nach 16 Beurteilungsmerkmalen mit jeweils einer Punkteskala von 1 bis 5 nicht hinreichend zuverlässig, dass der Bewerber mit dem höheren Punktestand signifikant besser geeignet ist. Trotz allen Bemühens um einheitliche Bewertungsmaßstäbe kann in einem großen Personalkörper wie hier nicht sichergestellt werden, dass die unterschiedlichen Beurteiler genau gleichmäßig bewerten. Auch in Beurteilungen fließen subjektive Einschätzungen der Beurteiler ein. Zu Recht sind deshalb die Antragsgegnerin wie auch das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass bei einer Differenz von lediglich 2 Punkten von vergebenen 53 bis 55 Punkten im Wesentlichen gleichwertige Beurteilungen vorliegen. Dem gegenüber überzeugt der Hinweis nicht, das Bundesverwaltungsgericht habe auch Punktwerten innerhalb der Abschlussnote einer Beurteilung maßgebliche Bedeutung bei der Auswahl im wesentlich gleich bewerteter Bewerber zugemessen. Um eine derartige Binnendifferenzierung geht es hier nicht. Die Antragsgegnerin hat keine Gesamtnoten gebildet, innerhalb derer sie differenziert. Vielmehr ergibt sich die Gesamtpunktzahl lediglich aus einer Addition der Punktzahlen für die 16 einzelnen Beurteilungsmerkmale.
a.b. Auswahlgespräche stellen nur Momentaufnahmen des Leistungsvermögens dar, die auch von Zufälligkeiten wie der Tagesform der Bewerber und subjektiven Einschätzungen beeinflusst werden. Trotz dieser Beeinträchtigungen ihrer Aussagekraft bilden sie bei sachgemäßer Ausgestaltung grundsätzlich ein geeignetes weiteres Erkenntnismittel für eine leistungsbezogene Auswahl. Die Grenzen der Aussagekraft von Auswahlgesprächen hindern die Antragsgegnerin nicht, ihre Ergebnisse ergänzend in ihre Auswahlentscheidung einzubeziehen, wenn die Bewerber im Wesentlichen gleich beurteilt sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.04.05 - 2 ME 141/05; teils einengend VGH München, Beschluss vom 24.11.2006 - 3 CE 06.2680). Keiner Entscheidung bedarf, ob sie ausnahmsweise im Einzelfall darüber hinaus die Aussagekraft einer dienstlichen Beurteilung in Frage stellen können.
a.c. Die Antragsgegnerin hat ihre Auswahlentscheidungen auch nicht etwa allein auf das Auswahlgespräch gestützt und den unterschiedlichen Punktwerten aus den Beurteilungen keine Bedeutung beigemessen. Sie hat beide Werte berücksichtigt. Die Übersicht über die ausgewählten Bewerbungen mit den darin ausgewiesenen Punktwerten beweist, dass nicht nur die in den Auswahlgesprächen erzielte Punktzahl maßgeblich war, sondern die Auswahlkommission, wie es in dem Auswahlvermerk heißt, in erster Linie die aktuelle Leistungsfeststellung herangezogen hat.
Es kann dahinstehen, ob die Auswahlkommission neben der Punktzahl der Anlassbeurteilungen und der aus den Auswahlgesprächen auch die Ergebnisse der früheren Regelbeurteilungen der Bewerber nicht lediglich - wie geschehen - in die Vorauswahl sondern auch in die Endauswahl hätte einbeziehen müssen. Jedenfalls kann sich ein solcher Fehler - einmal unterstellt er läge vor - nicht im Verhältnis der Beigeladenen zu dem Antragsteller ausgewirkt haben. Denn die frühere Regelbeurteilung des Antragstellers ... ist mit 51 Punkten nicht besser ausgefallen als die des Beigeladenen zu 6 ... mit ebenfalls 51 Punkten und die des Beigeladenen zu 8 ... mit 52 Punkten. Deshalb wäre ein Rückgriff auf die früheren Regelbeurteilungen nicht ergiebig gewesen. Gleiches gilt im übrigen im Vergleich zu den Regelbeurteilungen der anderen ausgewählten Bewerber und Bewerberinnen.
Auch war die Antragsgegnerin nicht gehalten, vor den Auswahlgesprächen festzulegen, in welchem Umfang sie die Ergebnisse der Auswahlgespräche im Vergleich zu den Punktwertungen der Beurteilungen gewichtet. Es ist weder willkürlich noch verletzt es die Chancengleichheit, wenn die Auswahlkommission diese Gewichtung im Lichte der Ergebnisse der Auswahlgespräche vornimmt. Daher kann offen bleiben, wann die Kommission ihren Gewichtungsmaßstab gebildet hat.
b. Es sind keine Umstände glaubhaft gemacht, die dazu führen könnten, die Art der Durchführung der Auswahlgespräche rechtlich zu beanstanden.
b.a. Die Antragsgegnerin hat die 25 nach einer auf der Grundlage der Beurteilungen erfolgten Vorauswahl in die engere Wahl einbezogenen Bewerber und Bewerberinnen, von denen 20 an den Auswahlgesprächen teilgenommen haben, mit gleichen Fragestellungen befragt und insoweit dem Erfordernis der Chancengerechtigkeit Rechnung getragen. Insoweit liegt kein Verfahrensfehler darin, dass sich die Auswahlgespräche über drei Tage hingezogen haben und später geprüfte Kandidaten sich bei den vorangegangenen Bewerbern über die Fragen hätten informieren können. Bei 25 Kandidaten und einer Gesprächsdauer von 30 Minuten kann die Antragsgegnerin die theoretische Möglichkeit nicht ausschließen, dass sich Kandidaten bei den Bewerbern zu informieren versuchen, die ihr Auswahlgespräch bereits durchlaufen haben, wenn sie - wie es gerade dem Grundsatz der Chancengleichheit entspricht - gleiche Fragestellungen verwendet. Es ist nichts für die Annahme ersichtlich, dass die Beigeladenen zu 6 und 8 vor ihren Auswahlgesprächen die Fragen gekannt haben.
b.b. Die Auswahlgespräche sind auch ausreichend dokumentiert. Insoweit musste das Gericht den Fragenkatalog nicht aufklären. Der Antragsteller hat selbst vorgetragen, dass die gleichen Fragen gestellt worden seien und die erörterten drei Sachkomplexe sind dokumentiert. Insoweit schadet entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht, dass der Vorsitzende der Auswahlkommission den Auswahlvermerk mit der Dokumentation der Auswahlgespräche anscheinend ohne Beteiligung der anderen Kommissionsmitglieder erstellt hat. Auch enthalten die Vermerke über die mit dem Antragsteller und den Beigeladenen geführten Auswahlgespräche nachvollziehbare Bewertungen. Sie erschöpfen sich im übrigen nicht - wie der Antragsteller meint -in bloßen Bewertungen über die Persönlichkeit und Präsentation der Kandidaten. Sie enthalten auch zusammenfassende Bewertungen zu der fachlichen Güte der gegebenen Antworten.
c. Die Antragsgegnerin hat auch berücksichtigt, dass der Antragsteller mit 55 Punkten aus der Anlassbeurteilung einen vergleichsweise hohen Wert erzielt hatte. Es liegt in ihrem Beurteilungsspielraum, wenn sie ihn dennoch in Hinblick auf das schlechte Bild, das er in dem Auswahlgespräch vermittelt hat, nicht ausgewählt hat. Sie hat die von ihm dort gezeigte Leistung nachvollziehbar als eine an erheblichen Mängeln leidende, nicht mehr brauchbare Leistung bewertet und ihn deshalb trotz seines Punktwertes aus der Anlassbeurteilung nicht ausgewählt. Es ist nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich, dass diese Bewertung beurteilungsfehlerhaft gewesen ist.
Insoweit musste die Antragsgegnerin auch nicht berücksichtigen, dass der Antragsteller in einem früheren Bewerbungsverfahren von ihr bereits ausgewählt worden ist und er in dem dortigen Auswahlgespräch möglicherweise eine bessere Leistung gezeigt hatte. Jenes Auswahlverfahren durfte die Antragsgegnerin wiederholen, nachdem ein dort unterlegener Konkurrent vorläufigen Rechtsschutz erstritten und das Verwaltungsgericht Hamburg mit Beschluss vom 14.07.06 - 16 E 1500/06 - mit Bindungswirkung für den in jenem Verfahren beigeladenen Antragsteller einen Verfahrensfehler- Fehlen einer Anlassbeurteilung - festgestellt hatte. Es entspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit, das Auswahlverfahren in einem derartigen Falle vollständig zu wiederholen, um den in jenem ersten Auswahlverfahren fehlerhaft benachteiligten Bewerber chancengleich in die Auswahl einzubeziehen.