Dienstliche Beurteilung trotz längerer Erkrankung?
Eine Entscheidung des OVG Lüneburg vom 29.11.21 finden Sie in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen. Sie betrifft ein häufiges Problem im Zusammenhang mit längeren Erkrankungszeiten: Kann eine dienstliche Beurteilung trotz Erkrankung erstellt werden? Und vor allem: Kann der Beamte / die Beamtin von einem Beförderungsauswahlverfahren ausgeschlossen werden, wenn er / sie wegen längerer Krankheitszeiten nicht beurteilt werden kann?
OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.11.21, 5 ME 132/21
Dass ein Bewerber mit Blick auf den beabsichtigten Zeitpunkt der Stellenbesetzung krankheitsbedingt nicht rechtzeitig beurteilt werden kann, rechtfertigt nicht ohne Weiteres dessen Ausschluss vom Auswahlverfahren.
Dass ein Bewerber mit Blick auf den beabsichtigten Zeitpunkt der Stellenbesetzung krankheitsbedingt nicht rechtzeitig beurteilt werden kann, rechtfertigt nicht ohne Weiteres dessen Ausschluss vom Auswahlverfahren.
Die nachfolgende, nur wenig ältere Entscheidung bringt keine abschließende Klärung der Frage, ob und wie eine dienstliche Beurteilung erstellt werden kann, wenn im Beurteilungszeitraum längere Krankheitszeiten liegen.
Man wird in Fällen dieser Art zunächst die geltenden Beurteilungsrichtlinien sorgfältig prüfen und dann die gesamten Umstände noch einmal bewerten müssen.
Im entschiedenen Fall hätte der Beamte einen Antrag stellen können, die Beurteilung zurückzustellen. Das hat er nicht getan.
Das Gericht begründet seine Auffassung, dass eine Beurteilung bei dieser Lage jedenfalls zulässig war.
Dabei zieht das Gericht in Betracht, dass die Fehlzeiten zwar hoch waren, sich aber noch im Rahmen hielten.
Oberverwaltungsgericht NRW Beschluss vom 28.06.18 - 6 B 1180/17 -
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1. Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, seine dienstliche Beurteilung hätte nach Ziffer 3.4 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Bereich der Polizei in der hier noch maßgeblichen Fassung (im Folgenden: BRL Pol) zurückgestellt werden müssen. Danach können Beurteilungen, die zum vorgesehenen Beurteilungsstichtag nicht zweckmäßig sind (z.B. schwebendes Disziplinarverfahren, längere Abwesenheit), zurückgestellt werden. Auf Antrag sollen sie zurückgestellt werden.
5
Ein entsprechender Antrag lag hier nicht vor. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht, dass der Antragsgegner aus anderen Gründen die dienstliche Beurteilung hätte zurückstellen müssen. Ob eine Zurückstellung, wie offenbar das Verwaltungsgericht meint, mit Blick auf Ziffer 3.3 BRL Pol schon dann nicht geboten ist, wenn der Beamte im Beurteilungszeitraum mehr als neun Monate Dienst geleistet hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Eine Zurückstellung mag auch in einem solchen Fall in Betracht kommen. Es wird mit dem Beschwerdevorbringen jedenfalls nicht dargetan, dass der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen, ob er die Beurteilung zurückstellt, fehlerhaft ausgeübt hat. Dass erhebliche Fehlzeiten vorlagen und der Antragsteller unmittelbar vor dem Beurteilungsstichtag 236 Tage durchgehend erkrankt oder im Urlaub war, reicht insoweit nicht aus. Der Antragsteller war nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Antragsgegners an 482 Tagen im dreijährigen Beurteilungszeitraum (1066 Tage) erkrankt, so dass ein erheblicher Zeitraum verbleibt, in dem er im Dienst war und beurteilt werden konnte.
In der Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 1. Januar 2012 war er nur an neun Tagen krankheitsbedingt abwesend. In der Zeit vom 10. Juli 2012 bis zum 22. Januar 2013 sowie vom 1. Mai 2013 bis zum 23. September 2013 war der Antragsteller, von einzelnen Krankheitstagen abgesehen, durchgehend dienstfähig.
6
Die bloße Mutmaßung des Antragstellers, „dass die Tendenz besteht, einen Beamten nicht mit einer beförderungsfähigen Note zu bedenken, wenn Zweifel an dessen Dienstfähigkeit bestehen und der Beurteiler nicht einmal weiß, ob - und gegebenenfalls wann - der Beamte in den Dienst zurückkehrt“, gebietet nicht generell die Zurückstellung der dienstlichen Beurteilung. Bei der Entscheidung über die Zurückstellung ist auch zu berücksichtigen, dass eine dienstliche Beurteilung ihre wesentliche Aussagekraft aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in den dienstlichen Beurteilungen anderer Beamter erhält und dies bei Regelbeurteilungen unter anderem durch einen gleichen Stichtag und einen gleichen Beurteilungszeitraum erreicht wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.12 - 2 A 2.10 -, NVwZ-RR 2013, 54 = juris, Rn. 9 f.
8
Es fehlen im Übrigen schon deshalb jegliche Anhaltspunkte, dass die vom Antragsteller behauptete Tendenz hier gegeben war, weil dieser auch in der vorherigen dienstlichen Beurteilung ein Gesamturteil von 3 Punkten erhalten hat, wobei sieben Einzelmerkmale mit 3 und lediglich eins mit 4 Punkten bewertet worden sind.
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1. Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, seine dienstliche Beurteilung hätte nach Ziffer 3.4 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Bereich der Polizei in der hier noch maßgeblichen Fassung (im Folgenden: BRL Pol) zurückgestellt werden müssen. Danach können Beurteilungen, die zum vorgesehenen Beurteilungsstichtag nicht zweckmäßig sind (z.B. schwebendes Disziplinarverfahren, längere Abwesenheit), zurückgestellt werden. Auf Antrag sollen sie zurückgestellt werden.
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Ein entsprechender Antrag lag hier nicht vor. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich auch nicht, dass der Antragsgegner aus anderen Gründen die dienstliche Beurteilung hätte zurückstellen müssen. Ob eine Zurückstellung, wie offenbar das Verwaltungsgericht meint, mit Blick auf Ziffer 3.3 BRL Pol schon dann nicht geboten ist, wenn der Beamte im Beurteilungszeitraum mehr als neun Monate Dienst geleistet hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Eine Zurückstellung mag auch in einem solchen Fall in Betracht kommen. Es wird mit dem Beschwerdevorbringen jedenfalls nicht dargetan, dass der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen, ob er die Beurteilung zurückstellt, fehlerhaft ausgeübt hat. Dass erhebliche Fehlzeiten vorlagen und der Antragsteller unmittelbar vor dem Beurteilungsstichtag 236 Tage durchgehend erkrankt oder im Urlaub war, reicht insoweit nicht aus. Der Antragsteller war nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Antragsgegners an 482 Tagen im dreijährigen Beurteilungszeitraum (1066 Tage) erkrankt, so dass ein erheblicher Zeitraum verbleibt, in dem er im Dienst war und beurteilt werden konnte.
In der Zeit vom 1. Juli 2011 bis zum 1. Januar 2012 war er nur an neun Tagen krankheitsbedingt abwesend. In der Zeit vom 10. Juli 2012 bis zum 22. Januar 2013 sowie vom 1. Mai 2013 bis zum 23. September 2013 war der Antragsteller, von einzelnen Krankheitstagen abgesehen, durchgehend dienstfähig.
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Die bloße Mutmaßung des Antragstellers, „dass die Tendenz besteht, einen Beamten nicht mit einer beförderungsfähigen Note zu bedenken, wenn Zweifel an dessen Dienstfähigkeit bestehen und der Beurteiler nicht einmal weiß, ob - und gegebenenfalls wann - der Beamte in den Dienst zurückkehrt“, gebietet nicht generell die Zurückstellung der dienstlichen Beurteilung. Bei der Entscheidung über die Zurückstellung ist auch zu berücksichtigen, dass eine dienstliche Beurteilung ihre wesentliche Aussagekraft aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in den dienstlichen Beurteilungen anderer Beamter erhält und dies bei Regelbeurteilungen unter anderem durch einen gleichen Stichtag und einen gleichen Beurteilungszeitraum erreicht wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.09.12 - 2 A 2.10 -, NVwZ-RR 2013, 54 = juris, Rn. 9 f.
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Es fehlen im Übrigen schon deshalb jegliche Anhaltspunkte, dass die vom Antragsteller behauptete Tendenz hier gegeben war, weil dieser auch in der vorherigen dienstlichen Beurteilung ein Gesamturteil von 3 Punkten erhalten hat, wobei sieben Einzelmerkmale mit 3 und lediglich eins mit 4 Punkten bewertet worden sind.
Die nachfolgende Entscheidung bezieht im Hinblick auf einen Bundesbeamten (Bahn) die Regelungen aus § 33 der Bundeslaufbahnverordnung in die Betrachtung ein und vertritt dann die These, dass eine Beurteilung nicht möglich sei, wenn der Beamte / die Beamtin krankheitsbedingt nicht wenigstens in 25% der üblichen Dienstzeit Dienst verrichtet hat, wobei Zeiten einer BEM-Wiedereingliederungsmaßnahme nicht als Dienstverrichtung anerkannt werden.
Das Gericht hält eine dennoch erstellte Beurteilung als eine für eine Beförderungsauswahl nicht taugliche Grundlage. Es bestehe eine Beurteilungslücke, die nicht gefüllt werden könne.
Die Auswahl unter den Bewerbern müsse deshalb auf andere Weise getroffen werden, möglicherweise sei ein Rückgriff auf frühere Beurteilungen möglich.
Die sonst oft vertretene These, es dürfe keine Beurteilungslücke bzw. keine nicht beurteilten Zeiträume geben, hat die Praxis oft vor Probleme gestellt. Vielleicht ist die Auffassung des Gerichts richtig und man sollte im Einzelfall akzeptieren, dass eine Beurtelung ganz einfach nicht erstellt werden kann. Aber schwierig bleiben diese Fallgestaltungen natürlich trotzdem, wenn wir das Prinzip der Bestenauslese nicht aufgeben wollen.
Oberverwaltungsgericht NRW, Beschluss vom 24.02.22 - 1 B 1739/21 -
Leitsätze:
§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV liegt die allgemeine Wertung zugrunde, dass dienstliche Tätigkeiten mit einem Anteil von unter 25% der Arbeitszeit grundsätzlich nicht bewertbar sind.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV ist bei krankheitsbedingten Ausfallzeiten von Beamten nicht anwendbar.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die ausgeschriebene Stelle „... “ mit der Bewertung M9 mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 11.364,17 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
I. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines ablehnenden Beschlusses im Wesentlichen ausgeführt:
Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zwar sei er in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, weil sich seine der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung für das Jahr 2020 aufgrund einer unzureichenden Begründung der Gesamteinschätzung („3 – Leistungserwartung voll erfüllt“) als fehlerhaft erweise. Unter der gebotenen wertenden Betrachtung des Einzelfalls sei der Antragsteller aber auch im Falle eines rechtmäßig durchgeführten Auswahlverfahrens gegenüber dem Beigeladenen offensichtlich chancenlos.
Der Antragsteller habe weder substantiiert geltend gemacht, noch dargelegt, dass bzw. inwiefern die Einzelbewertungen (einmal mal Bestnote „5“; dreimal zweitbeste Note „4“; dreimal Note „3“) in der dienstlichen Beurteilung für das Jahr 2020 fehlerhaft erfolgt seien. Im Falle einer Neubeurteilung sei danach bestenfalls mit einer Änderung der Gesamteinschätzung zu der Bestnote („4 – Leistungserwartung deutlich übertroffen“) zu rechnen.
Wären damit der Antragsteller und der Beigeladene – hypothetisch – in ihren aktuellen dienstlichen Beurteilungen mit der gleichen Gesamteinschätzung beurteilt, wäre der Antragsgegner im nächsten Schritt verpflichtet, die dienstlichen Beurteilungen inhaltlich auszuschöpfen, d. h. (im Wege einer sogenannten Ausschärfung) der Frage nachzugehen, ob die jeweiligen Einzelfeststellungen eine gegebenenfalls unterschiedliche Prognose betreffend den Grad der Eignung für das Beförderungsamt, also für die künftige Bewährung in diesem (Status-) Amt ermöglichten. Bei der danach gebotenen (hypothetischen) Auswertung der dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen würde sich ein deutlicher Vorsprung des Beigeladenen
zeigen. Bei der Ausschärfung wäre – korrespondierend mit den Erwägungen desAntragsgegners in dem Auswahlvermerk vom 29. Juli 2021 – insbesondere auf die Bewertungen in den Einzelkategorien abzustellen. Der Beigeladene habe in allen sieben
Einzelkategorien die beste Bewertung „5“ erhalten, wohingegen der Antragsteller in nur einer von sieben Einzelkategorien mit der Bestnote „5“ bewertet worden sei.
II.
Mit seinem fristgerechten Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller die Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei gegenüber dem Beigeladenen auch in einem erneuten, fehlerfrei durchgeführten Auswahlverfahren offensichtlich chancenlos, durchgreifend in Frage gestellt.
Der Antragsteller hat damit sowohl einen Anordnungsanspruch (dazu 1.) als auch einen Anordnungsgrund (dazu 2.) glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
1. Die nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners, den in Rede stehenden Beförderungsdienstpostens mit dem Beigeladenen zu besetzen, ist – wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt hat – zu Lasten des Antragstellers rechtswidrig und verletzt diesen in seinem aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Aussichten des Antragstellers, bei einer erneuten – rechtmäßigen – Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, sind aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts offen.
a) Der im Auswahlverfahren unterlegene Bewerber kann im Falle einer fehlerbehafteten, sein subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzenden Auswahlentscheidung nur eine – mittels einer einstweiligen Anordnung sicherungsfähige – erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn er glaubhaft macht oder sich in Würdigung unstreitiger Sachumstände ergibt, dass seine Aussichten, in einem zweiten, rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, offen sind, d. h. wenn seine Auswahl möglich erscheint.
Daran fehlt es, wenn die gebotene wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls klar erkennbar ergibt, dass der Rechtsschutzsuchende auch im Fall einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung im Verhältnis zu den Mitbewerbern chancenlos sein wird.
Vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 –, juris, Rn. 13 f., und vom 25. November 2015 – 2 BvR 1461/15 –, juris, Rn. 19 f.; ferner etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Mai 2017 – 1 B 99/17 –, juris, Rn. 9 bis 13 und vom 23. Oktober 2018– 1 B 666/18 –, juris, Rn. 32 f.
Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der zukünftigen neuen Auswahlentscheidung einschließlich des dann aktuellen Beurteilungsbildes abzustellen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 2016 – 1 WB 27.15 –, juris, Rn. 18 (zu militärischen Dienstposten), und Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 –, juris, Rn. 58 (für das Dienstrecht der Beamten und Richter); ferner OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Mai 2018 – 6 B 462/18 –, juris, Rn. 17, vom 20. August 2019 – 6 B 274/19 –, juris, Rn. 49, vom 14. Juni 2021 – 1 B 431/21 –, juris, Rn. 24, und vom 29. Juli 2021 – 1 B 1072/21 –, juris, Rn. 15 ff (jeweils für das Dienstrecht der Beamten und Richter).
Es entspricht dem bei der Beförderung zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen; regelmäßig sind dies die – bezogen auf den Zeitpunkt der Auswahlentscheidung – aktuellsten Beurteilungen (vgl. auch §§ 22 Abs. 1, 9 BBG, § 33 Abs. 1 Satz 1 BLV). Bei der Betrachtung der einzelnen Beurteilung kommt es zunächst auf das erreichte Gesamturteil (einschließlich etwaiger nach dem Beurteilungssystem vorgesehener Binnendifferenzierungen) an. Ergibt sich auf dieser Grundlage kein Ansatzpunkt für einen Qualifikationsunterschied von Bewerbern, ist der Dienstherr nicht nur berechtigt, sondern im Grundsatz verpflichtet, die dienstlichen Beurteilungen der im Gesamturteil gleich bewerteten Bewerber (im Wege einer näheren „Ausschärfung" des übrigen Beurteilungsinhalts) inhaltlich auszuschöpfen. Lässt sich auch auf diesem Wege kein Vorsprung eines der Bewerber feststellen, sind die Aussagen in den jeweiligen Vorbeurteilungen und nötigenfalls auch in noch davorliegenden älteren Beurteilungen vergleichend mit zu berücksichtigen (vgl. auch § 33 Abs. 1 Satz 2 BLV). Dabei handelt es sich um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien vorrangig sind.
Frühere dienstliche Beurteilungen können zwangsläufig nicht die gleiche Aktualität aufweisen wie die einer Auswahlentscheidung unmittelbar zugrunde liegenden Beurteilungen. Ihre Aussagekraft ist dementsprechend je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie erstellt wurden, mehr oder weniger gemindert. Die Aussagekraft kann, wenn der Zeitraum bis zu der letzten Beurteilung zu groß wird, sogar ganz entfallen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 –, juris, Rn. 22 f. und vom 27. Februar 2003– 2 C 16.02 –, juris, Rn. 12 ff.; sowie OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Januar 2020 – 1 B 112/19 –, juris, Rn. 59 ff. und vom 1. August 2011 – 1 B 186/11 –, juris, Rn. 9 ff., jeweils m. w. N.
b) Dies vorausgesetzt wäre der Antragsteller im Falle einer erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens nicht offensichtlich chancenlos gegenüber dem Beigeladenen. Eine solche Chancenlosigkeit des Antragstellers ließe sich weder auf dienstliche Beurteilungen der Bewerber für das Jahr 2020
stützen (dazu (a)) noch auf frühere dienstliche Beurteilungen (dazu (b)) oder auf Hilfskriterien (dazu (c)). Die Chancen des Antragstellers sind bei wertender Betrachtung derzeit offen (dazu (d)).
(a) Der Antragsteller hat mit seinem Beschwerdevorbingen glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner bei einer erneuten Auswahlentscheidung nicht auf die (aktuellen) Beurteilungen der Bewerber für den mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Beurteilungszeitraum 2020 würde abstellen können. Im Falle des Antragstellers besteht insoweit eine Beurteilungslücke mit der Folge, dass ein Qualifikationsvergleich mit dem Beigeladenen anhand dienstlicher Beurteilungen für diesen Zeitraum nicht möglich sein wird.
(1) Es fehlt an einer belastbaren Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung, da der Antragsteller im ganz überwiegenden Teil des Beurteilungszeitraums 2020 keinen Dienst geleistet hat.
Grundsätzlich haben Beamte einen Anspruch auf eine lückenlose Beurteilung sämtlicher dienstlicher Leistungen. Der Dienstherr hat im Rahmen ordnungsgemäßer Personalbewirtschaftung dafür zu sorgen, dass die Beamten regelmäßig dienstlich beurteilt werden, nicht zuletzt, weil die Beurteilungen entscheidende Bedeutung bei der Auswahlentscheidung des Dienstherrn und der dabei erforderlichen „Klärung einer Wettbewerbssituation" haben.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 –, juris, Rn. 22 und vom 27. Februar 2003– 2 C 16.02 –, juris, Rn. 13.
Liegen aber zeitlich zu geringe und damit nicht aussagekräftige Erkenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild eines Beamten vor, würde ein darauf gestütztes Gesamturteil dem individuellen Gerechtigkeitsmaßstab als Ausdruck beamtenrechtlicher Fürsorge nicht gerecht und auch unter dem Aspekt der komparativen Gerechtigkeit, also des Vergleichs mehrerer Bewerber, gegen das Leistungsprinzip verstoßen.
Vgl. Lorse, in: Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. 2020, A. VII. 2., Rn. 94.
Dies zugrunde gelegt fehlen für den Beurteilungszeitraum 2020 ausreichende Erkenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild des Antragstellers, um diesem (rechtmäßig) eine dienstliche Beurteilung erstellen zu können.
Der Antragsteller hat im Kalender- und Beurteilungsjahr 2020 weniger als drei Monate und an weniger als 20 % der Arbeitstage Dienst geleistet. Dies genügt nicht als Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung.
(aa) In der Beschwerdebegründung ... hat der Antragsteller vorgetragen, im Jahr 2020 zunächst bis einschließlich des 9. September 2020 dienstunfähig gewesen zu sein, in der Zeit vom 10. September 2020 bis zum 20. September 2020
(= 11 Tage) an einer Wiedereingliederungsmaßnahme teilgenommen und dann bis zum 31. Dezember 2020 – unter Abzug von Urlaubstagen – an insgesamt 40 Tagen Dienst geleistet zu haben.
...
Der Zweck einer Wiedereingliederungsmaßnahme, nämlich die schrittweise Genesung des Beamten und dessen Heranführung an sein (erst noch wieder zu erlangendes) volles Leistungsvermögen zu fördern, verbietet es aber diese Tätigkeiten als „Dienst“ zum Gegenstand einer dienstlichen Beurteilung zu machen.
Vgl. Bodanowitz, in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter, 70. Aktualisierung 4/2021, B. VI. 1., Rn. 349; BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2015 – 2 B64.14 –, juris, Rn. 7 ff.; OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2014 – 1 A 1946/12 –, juris, Rn. 25.
Die aktive Diensttätigkeit des Antragstellers im Kalender- und Beurteilungsjahr 2020 an damit 40 Tagen (etwa acht Dienstwochen bzw. etwa zwei Dienstmonaten) hat zusammengerechnet deutlich weniger als drei Monate und mit knapp 16 % weniger als 20 % der Arbeitstage ausgemacht.
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Kalenderjahr 2020 (grundsätzlich) 254 Arbeitstage hatte (366 Kalendertage abzgl. insgesamt 104 Samstage/Sonntage abzgl. 8 Feiertage, die nicht auf Samstage/Sonntage gefallen sind).
Diese Annahme ist auch mit Blick auf den an Samstagen/Sonntagen/Feiertagen stattfindenden Bahnverkehr plausibel. Nach der von dem Antragsteller als Anlage 9 zur Beschwerdebegründung vorgelegten „Abrechnung Jahresarbeitszeit/Urlaub“ hat sein
individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll im Kalenderjahr 2019 nämlich 2.036 Stunden betragen, was bei unterstellten 8 Dienststunden pro Tag ebenfalls zu (gut) 254 Arbeitstagen führt. Selbst wenn das Jahresarbeitszeit-Soll des Antragstellers im Jahr 2020 mit unterstellten 230 Diensttagen geringer gewesen sein sollte, wäre der Anteil mit etwa 17 % immer noch geringer als 20 %.
(bb) Eine ausdrückliche Regelung, unter welchen Voraussetzungen eine (aktive) dienstliche Tätigkeit in einem Beurteilungszeitraum in zeitlicher Hinsicht nicht mehr als Tatsachengrundlage für eine dienstlich Beurteilung genügt, enthält die
Konzernbetriebsvereinbarung „Personalentwicklung“ zwischen dem Vorstand der Deutschen Bahn AG und dem Konzernbetriebsrat der Deutschen Bahn AG – im Folgenden: KBV – nicht. Eine solche ausdrückliche Regelung sieht etwa § 12 Satz 1 PostLEntgV vor, nach dem eine Leistungs- oder Gesamtbeurteilung nicht stattfindet, wenn die Beamtin oder der Beamte infolge von Dienstunfähigkeit oder aus anderen von ihr oder ihm nicht zu vertretenden Gründen im Beurteilungszeitraum – wie der Antragsteller – weniger als drei Monate aktiven Dienst verrichtet hat. Einen dem in zeitlicher Hinsicht entsprechenden Anhaltspunkt für den vorliegenden Fall gibt § 6 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 1 zur KBV, nach dem sich für die jährliche Gesamteinschätzung eine Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Führungskraft von (auch) mindestens drei Monaten empfiehlt.
(cc) Dass es bei einer dienstlichen Tätigkeit, die – wie im Falle des Antragstellers – (deutlich) unter 25 % der Arbeitszeit im Beurteilungszeitraums ausmacht, an einer ausreichenden Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung fehlt, folgt maßgeblich aus der Wertung, die der Regelung des § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV zugrunde liegt. Danach ist die letzte
regelmäßige dienstliche Beurteilung einer wegen einer Tätigkeit als Personalratsmitglied, Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen oder Gleichstellungsbeauftrage von der dienstlichen Tätigkeit freigestellten Person fiktiv fortzuschreiben, wenn die dienstliche Tätigkeit jeweils weniger als 25 % der Arbeitszeit beansprucht.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV regelt für die dort (nicht abschließend) aufgezählten Fälle die fiktive Fortschreibung der letzten regelmäßigen dienstlichen Beurteilung eines Beamten unter Berücksichtigung der Entwicklung vergleichbarer Beamtinnen und Beamter. Die Vorschrift betrifft gerade solche Fälle, in denen die betroffenen Bediensteten keine bewertbare Dienstleistung erbracht haben und bei deren späterer dienstlicher Beurteilung deshalb eine dienstliche Leistung fiktiv hinzugedacht werden soll. Mit der Fortschreibungspflicht hat der Verordnungsgeber gesetzlich bestimmte Diskriminierungsverbote für die von der Vorschrift ausdrücklich umfassten Personengruppen umgesetzt.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 – 2 VR 2.15 –, juris, Rn. 30; und vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris, Rn. 23; sowie ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – 1 B 681/12 –, juris, Rn. 10 ff., m. w. N.
Dieser Regelung liegt damit erkennbar die allgemeine Wertung zugrunde, dass dienstliche Tätigkeiten mit einem Anteil von unter 25 % der Arbeitszeit grundsätzlich nicht bewertbar sind und nicht für eine dienstliche Beurteilung ausreichen. Etwas anderes folgt nicht aus dem Vortrag des Antragsgegners, § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV bezwecke, Nachteile der betroffenen Personengruppen auszuschließen, weil diese bei einer überwiegenden Wahrnehmung ihrer Aufgaben (zu mindestens 75 %) ineinem besonderen Spannungsverhältnis zur Dienststellenleitung stünden und eine objektive Leistungsbewertung umso schwieriger sei, je häufiger sie der Behördenleitung widersprechende Auffassungen vertreten müssten. Es trifft zwar zu, dass die durch § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV umgesetzten Benachteiligungsverbote – wie etwa § 10 BPersVG – der inneren und äußeren Unabhängigkeit der freigestellten Beamten dienen und gewährleisten, dass diese ihr Amt unbeeinflusst von der Furcht vor Benachteiligungen (in ihren beruflichen Perspektiven) und von der Aussicht auf Begünstigungen wahrnehmen können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2006 – 2 C 13.05 –, juris, Rn. 13 (zu freigestellten Personalratsmitgliedern).
Dass aber der Verordnungsgeber die 25 %-Grenze in § 33 Abs. 3 Nr. 3 BLV statuiert haben könnte, um die Unabhängigkeit der freigestellten Beamten in Relation zu dem quantitativen Anteil an Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen, ist abwegig. Es liegt auf der Hand, dass auch bereits ein geringerer Anteil an Aufgabenwahrnehmung für freigestellte Beamte das Risiko birgt, kontroverse Ansichten zu vertreten.
(dd) Anders als der Antragsgegner meint kann auch nicht der jeweilige Vorgesetzte beurteilen, ob eine repräsentative und damit beurteilungsfähige Leistung vorliege, und zwar auch nicht unter Zuhilfenahme früherer Erkenntnisse in der Zusammenarbeit. Eine dem entsprechende Regelung findet sich in der KBV nicht. Eine allein im freien Ermessen des
jeweiligen Vorgesetzten liegende Entscheidung über die – rein objektiv beurteilbare – Frage, ob in zeitlicher Hinsicht eine ausreichende dienstliche Tätigkeit eines Beamten vorliegt, widerspräche zudem den Anforderungen an ein einheitliches und gleichmäßig anzuwendendes Beurteilungssystem.
Vgl. zu den Anforderungen an ein gleichmäßiges Beurteilungssystem: BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 – 2 C 16.02 –, juris, Rn. 13.
Auch ein hilfsweiser Rückgriff auf frühere Erkenntnisse über die Zusammenarbeit wäre unzulässig. Eine dienstliche Beurteilung muss den im Beurteilungszeitraum tatsächlich vorhandenen Leistungsstand des Beamten bewerten,
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2009 – 2 VR 1.09 –, juris, Rn. 4,
und nicht in einem anderen Beurteilungszeitraum erbrachte Leistungen.
(2) Die dienstliche Beurteilung des Antragstellers ist – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV fiktiv fortzuschreiben. Diese Regelung ist bei einem – wie hier – auf krankheitsbedingten Ausfallzeiten beruhendem Mangel an beurteilbarer Diensttätigkeit nicht anwendbar.
Zwar bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV die Fälle, in denen eine fiktive Fortschreibung einer dienstlichen Beurteilung möglich sein soll („jedenfalls“), nicht abschließend.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2016– 2 VR 2.15 –, juris, Rn. 30, und vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris, Rn. 23; sowie ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – 1 B 681/12 –, juris, Rn. 13.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV ist aber eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist. Sie kann nicht auf Fälle angewandt werden, die von ihrer Zielrichtung, nämlich gesetzliche Benachteiligungsverbote umzusetzen, nicht umfasst sind.
Vgl. Lorse, ZBR 2017, 11, 16 f.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 16. März 2017 – 10 B 11626/16 –, juris, Rn. 6.
Krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten von Beamten sind jedoch nicht von gesetzlichen Benachteiligungsverboten erfasst. Bei krankheitsbedingten Ausfallzeiten handelt es sich auch sonst nicht um einen vom Dienstherrn zu vertretenden Umstand, der – etwa unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht – den Dienstherrn zum Ausgleich von beruflichen Nachteilen in der Karriere des Beamten oder der Beamtin verpflichten könnte. Ergibt sich danach – wie hier – im Einzelfall, dass eine Beurteilungslücke entsteht, ist dies beurteilungsrechtlich hinzunehmen.
Vgl. zu krankheitsbedingten Fehlzeiten: VG Saarland, Beschluss vom 29. März 2018 – 2 L 1723/17 –, juris, Rn. 20 bis 24; eine fiktive Fortschreibungspflicht des Dienstherrn für einen „betriebsbedingt“ faktisch beschäftigungslosen Beamten aus Fürsorgegründe bejahend: Thür. OVG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 2 EO 500/16 –, juris, Rn. 24.
(b) Eine offensichtliche Chancenlosigkeit des Antragstellers gegenüber dem Beigeladenen ließe sich – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – derzeit auch nicht auf die früheren dienstlichen Beurteilungen („Mitarbeiterdialog ohne Zielvereinbarung“) der Bewerber für den Beurteilungszeitraum vom 15. Februar 2017 bis 15. August 2018 (Antragsteller) bzw. 14. Februar 2017 bis 22. Oktober 2018 (Beigeladener) stützen.
Zwar entspricht es dem Leistungsgrundsatz, Aussagen in früheren dienstlichen Beurteilungen bei der Bewerberauswahl vergleichend mit zu berücksichtigen, wenn sich ein Qualifikationsgleichstand zwischen den Bewerbern nach ihren aktuellen Beurteilungen ergibt oder – wie hier – ein Qualifikationsvergleich für den aktuellen Beurteilungszeitraum wegen einer Beurteilungslücke bei einem Bewerber nicht möglich ist. Dabei sind aktuellere – noch aussagekräftigere – frühere Beurteilungen vorrangig vor älteren heranzuziehen. Demnach wäre der Antragsgegner gehalten, zunächst den unmittelbar vor dem Beurteilungszeitraum 2020 liegenden Beurteilungszeitraum (für den Antragsteller: 16. August 2018 bis 31. Dezember 2019; für den Beigeladenen 23. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2019) in seine Auswahlentscheidung einzubeziehen, der zurzeit nicht von dienstlichen Beurteilungen abgedeckt ist. Der Antragsgegner hat insoweit mitgeteilt, im Jahr 2020 (offensichtlich gemeint: 2019) seien aufgrund einer Umstellung seines Beurteilungssystem keine Beurteilungen erstellt worden. Die Pflicht des Dienstherrn zur Erstellung dienstlicher Beurteilungen zur Erstellung lückenloser dienstlicher (Vor-)Beurteilungen – s. bereits unter 1. b) (a) (1) – entfällt aber nicht, weil er sein Beurteilungssystem überarbeitet. Vielmehr ist er dann verpflichtet, nach Abschluss seiner Umstellungsarbeiten seinen Beamten und Beamtinnen dienstliche Beurteilungen nach den Vorgaben seines neuen Beurteilungssystems zu erstellen. Gründe, die ihn daran hindern könnten, hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.
(c) Der Antragsteller würde sich schließlich nicht unter Berücksichtigung von Hilfskriterien als chancenlos gegenüber dem Beigeladenen erweisen. Bevor der Antragsgegner auf Hilfskriterien zurückgreifen dürfte, wären zur Verwirklichung des Leistungsgrundsatzes zunächst die Aussagen in den – den Bewerbern nach dem soeben Ausgeführten erst noch zu erstellenden – Vorbeurteilungen und nötigenfalls in den davorliegenden älteren Beurteilungen zu berücksichtigen.
(d) Wie der Qualifikationsvergleich zwischen den Bewerbern nach Erstellung der dienstlichen Beurteilungen für den Zeitraum vom 16. August 2018 (Antragsteller) bzw. 23. Oktober 2018 (Beigeladener) bis 31. Dezember 2019 ausgehen wird, lässt sich nicht sicher prognostizieren. Es erscheint aber jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller sich aufgrund dieser Beurteilung gegenüber dem Beigeladenen wird durchsetzen können, zumal beide Bewerber in ihren vorangegangenen Beurteilungen nahezu identisch beurteilt worden sind. In dem Beurteilungszeitraum vom 15. Februar 2017 bis 15. August 2018
(Antragsteller) bzw. 14. Februar 2017 bis 22. Oktober 2018 (Beigeladener) sind beide Bewerber mit der damals besten Gesamteinschätzung „5“ bewertet worden. Dabei hat derAntragsteller in drei von fünf Einzelkriterien die beste Bewertung „5“ erhalten und in zwei Einzelkriterien die zweitbeste Note „4“ und der Beigeladene in vier von fünf Einzelkriterien die Bestnote „5“ und in einem Einzelkriterium die Note „4“. Im Übrigen würde der Antragsgegner auch diese Beurteilungen neu zu erstellen haben, bevor er sie (rechtsfehlerfrei) einer Auswahlentscheidung zugrunde legen könnte. Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat in seinem Beschluss vom 26. November 2020 – 13 L 951/20 –, mit dem es dem ersten Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den streitgegenständlichen Dienstposten stattgegeben hat, zutreffend festgestellt (Beschlussabdruck, S. 9 ff.), dass es diesen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen jeweils an der erforderlichen Begründung des Gesamturteils fehle, die mit Blick auf die Möglichkeit der unterschiedlichen Gewichtung der Einzelleistungen auch nicht entbehrlich sei.
2. Der weiter erforderliche Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben.
...
Leitsätze:
§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV liegt die allgemeine Wertung zugrunde, dass dienstliche Tätigkeiten mit einem Anteil von unter 25% der Arbeitszeit grundsätzlich nicht bewertbar sind.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV ist bei krankheitsbedingten Ausfallzeiten von Beamten nicht anwendbar.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die ausgeschriebene Stelle „... “ mit der Bewertung M9 mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 11.364,17 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
I. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines ablehnenden Beschlusses im Wesentlichen ausgeführt:
Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zwar sei er in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, weil sich seine der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung für das Jahr 2020 aufgrund einer unzureichenden Begründung der Gesamteinschätzung („3 – Leistungserwartung voll erfüllt“) als fehlerhaft erweise. Unter der gebotenen wertenden Betrachtung des Einzelfalls sei der Antragsteller aber auch im Falle eines rechtmäßig durchgeführten Auswahlverfahrens gegenüber dem Beigeladenen offensichtlich chancenlos.
Der Antragsteller habe weder substantiiert geltend gemacht, noch dargelegt, dass bzw. inwiefern die Einzelbewertungen (einmal mal Bestnote „5“; dreimal zweitbeste Note „4“; dreimal Note „3“) in der dienstlichen Beurteilung für das Jahr 2020 fehlerhaft erfolgt seien. Im Falle einer Neubeurteilung sei danach bestenfalls mit einer Änderung der Gesamteinschätzung zu der Bestnote („4 – Leistungserwartung deutlich übertroffen“) zu rechnen.
Wären damit der Antragsteller und der Beigeladene – hypothetisch – in ihren aktuellen dienstlichen Beurteilungen mit der gleichen Gesamteinschätzung beurteilt, wäre der Antragsgegner im nächsten Schritt verpflichtet, die dienstlichen Beurteilungen inhaltlich auszuschöpfen, d. h. (im Wege einer sogenannten Ausschärfung) der Frage nachzugehen, ob die jeweiligen Einzelfeststellungen eine gegebenenfalls unterschiedliche Prognose betreffend den Grad der Eignung für das Beförderungsamt, also für die künftige Bewährung in diesem (Status-) Amt ermöglichten. Bei der danach gebotenen (hypothetischen) Auswertung der dienstlichen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen würde sich ein deutlicher Vorsprung des Beigeladenen
zeigen. Bei der Ausschärfung wäre – korrespondierend mit den Erwägungen desAntragsgegners in dem Auswahlvermerk vom 29. Juli 2021 – insbesondere auf die Bewertungen in den Einzelkategorien abzustellen. Der Beigeladene habe in allen sieben
Einzelkategorien die beste Bewertung „5“ erhalten, wohingegen der Antragsteller in nur einer von sieben Einzelkategorien mit der Bestnote „5“ bewertet worden sei.
II.
Mit seinem fristgerechten Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller die Annahme des Verwaltungsgerichts, er sei gegenüber dem Beigeladenen auch in einem erneuten, fehlerfrei durchgeführten Auswahlverfahren offensichtlich chancenlos, durchgreifend in Frage gestellt.
Der Antragsteller hat damit sowohl einen Anordnungsanspruch (dazu 1.) als auch einen Anordnungsgrund (dazu 2.) glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
1. Die nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners, den in Rede stehenden Beförderungsdienstpostens mit dem Beigeladenen zu besetzen, ist – wie bereits das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss festgestellt hat – zu Lasten des Antragstellers rechtswidrig und verletzt diesen in seinem aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Aussichten des Antragstellers, bei einer erneuten – rechtmäßigen – Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, sind aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts offen.
a) Der im Auswahlverfahren unterlegene Bewerber kann im Falle einer fehlerbehafteten, sein subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzenden Auswahlentscheidung nur eine – mittels einer einstweiligen Anordnung sicherungsfähige – erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn er glaubhaft macht oder sich in Würdigung unstreitiger Sachumstände ergibt, dass seine Aussichten, in einem zweiten, rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, offen sind, d. h. wenn seine Auswahl möglich erscheint.
Daran fehlt es, wenn die gebotene wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls klar erkennbar ergibt, dass der Rechtsschutzsuchende auch im Fall einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung im Verhältnis zu den Mitbewerbern chancenlos sein wird.
Vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. September 2002 – 2 BvR 857/02 –, juris, Rn. 13 f., und vom 25. November 2015 – 2 BvR 1461/15 –, juris, Rn. 19 f.; ferner etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Mai 2017 – 1 B 99/17 –, juris, Rn. 9 bis 13 und vom 23. Oktober 2018– 1 B 666/18 –, juris, Rn. 32 f.
Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der zukünftigen neuen Auswahlentscheidung einschließlich des dann aktuellen Beurteilungsbildes abzustellen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 2016 – 1 WB 27.15 –, juris, Rn. 18 (zu militärischen Dienstposten), und Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 –, juris, Rn. 58 (für das Dienstrecht der Beamten und Richter); ferner OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Mai 2018 – 6 B 462/18 –, juris, Rn. 17, vom 20. August 2019 – 6 B 274/19 –, juris, Rn. 49, vom 14. Juni 2021 – 1 B 431/21 –, juris, Rn. 24, und vom 29. Juli 2021 – 1 B 1072/21 –, juris, Rn. 15 ff (jeweils für das Dienstrecht der Beamten und Richter).
Es entspricht dem bei der Beförderung zu beachtenden Grundsatz der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen; regelmäßig sind dies die – bezogen auf den Zeitpunkt der Auswahlentscheidung – aktuellsten Beurteilungen (vgl. auch §§ 22 Abs. 1, 9 BBG, § 33 Abs. 1 Satz 1 BLV). Bei der Betrachtung der einzelnen Beurteilung kommt es zunächst auf das erreichte Gesamturteil (einschließlich etwaiger nach dem Beurteilungssystem vorgesehener Binnendifferenzierungen) an. Ergibt sich auf dieser Grundlage kein Ansatzpunkt für einen Qualifikationsunterschied von Bewerbern, ist der Dienstherr nicht nur berechtigt, sondern im Grundsatz verpflichtet, die dienstlichen Beurteilungen der im Gesamturteil gleich bewerteten Bewerber (im Wege einer näheren „Ausschärfung" des übrigen Beurteilungsinhalts) inhaltlich auszuschöpfen. Lässt sich auch auf diesem Wege kein Vorsprung eines der Bewerber feststellen, sind die Aussagen in den jeweiligen Vorbeurteilungen und nötigenfalls auch in noch davorliegenden älteren Beurteilungen vergleichend mit zu berücksichtigen (vgl. auch § 33 Abs. 1 Satz 2 BLV). Dabei handelt es sich um Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben und die deswegen gegenüber Hilfskriterien vorrangig sind.
Frühere dienstliche Beurteilungen können zwangsläufig nicht die gleiche Aktualität aufweisen wie die einer Auswahlentscheidung unmittelbar zugrunde liegenden Beurteilungen. Ihre Aussagekraft ist dementsprechend je nachdem, zu welchem Zeitpunkt sie erstellt wurden, mehr oder weniger gemindert. Die Aussagekraft kann, wenn der Zeitraum bis zu der letzten Beurteilung zu groß wird, sogar ganz entfallen.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 –, juris, Rn. 22 f. und vom 27. Februar 2003– 2 C 16.02 –, juris, Rn. 12 ff.; sowie OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Januar 2020 – 1 B 112/19 –, juris, Rn. 59 ff. und vom 1. August 2011 – 1 B 186/11 –, juris, Rn. 9 ff., jeweils m. w. N.
b) Dies vorausgesetzt wäre der Antragsteller im Falle einer erneuten, rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens nicht offensichtlich chancenlos gegenüber dem Beigeladenen. Eine solche Chancenlosigkeit des Antragstellers ließe sich weder auf dienstliche Beurteilungen der Bewerber für das Jahr 2020
stützen (dazu (a)) noch auf frühere dienstliche Beurteilungen (dazu (b)) oder auf Hilfskriterien (dazu (c)). Die Chancen des Antragstellers sind bei wertender Betrachtung derzeit offen (dazu (d)).
(a) Der Antragsteller hat mit seinem Beschwerdevorbingen glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner bei einer erneuten Auswahlentscheidung nicht auf die (aktuellen) Beurteilungen der Bewerber für den mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Beurteilungszeitraum 2020 würde abstellen können. Im Falle des Antragstellers besteht insoweit eine Beurteilungslücke mit der Folge, dass ein Qualifikationsvergleich mit dem Beigeladenen anhand dienstlicher Beurteilungen für diesen Zeitraum nicht möglich sein wird.
(1) Es fehlt an einer belastbaren Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung, da der Antragsteller im ganz überwiegenden Teil des Beurteilungszeitraums 2020 keinen Dienst geleistet hat.
Grundsätzlich haben Beamte einen Anspruch auf eine lückenlose Beurteilung sämtlicher dienstlicher Leistungen. Der Dienstherr hat im Rahmen ordnungsgemäßer Personalbewirtschaftung dafür zu sorgen, dass die Beamten regelmäßig dienstlich beurteilt werden, nicht zuletzt, weil die Beurteilungen entscheidende Bedeutung bei der Auswahlentscheidung des Dienstherrn und der dabei erforderlichen „Klärung einer Wettbewerbssituation" haben.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 2 C 14.02 –, juris, Rn. 22 und vom 27. Februar 2003– 2 C 16.02 –, juris, Rn. 13.
Liegen aber zeitlich zu geringe und damit nicht aussagekräftige Erkenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild eines Beamten vor, würde ein darauf gestütztes Gesamturteil dem individuellen Gerechtigkeitsmaßstab als Ausdruck beamtenrechtlicher Fürsorge nicht gerecht und auch unter dem Aspekt der komparativen Gerechtigkeit, also des Vergleichs mehrerer Bewerber, gegen das Leistungsprinzip verstoßen.
Vgl. Lorse, in: Lorse, Die dienstliche Beurteilung, 7. Aufl. 2020, A. VII. 2., Rn. 94.
Dies zugrunde gelegt fehlen für den Beurteilungszeitraum 2020 ausreichende Erkenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild des Antragstellers, um diesem (rechtmäßig) eine dienstliche Beurteilung erstellen zu können.
Der Antragsteller hat im Kalender- und Beurteilungsjahr 2020 weniger als drei Monate und an weniger als 20 % der Arbeitstage Dienst geleistet. Dies genügt nicht als Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung.
(aa) In der Beschwerdebegründung ... hat der Antragsteller vorgetragen, im Jahr 2020 zunächst bis einschließlich des 9. September 2020 dienstunfähig gewesen zu sein, in der Zeit vom 10. September 2020 bis zum 20. September 2020
(= 11 Tage) an einer Wiedereingliederungsmaßnahme teilgenommen und dann bis zum 31. Dezember 2020 – unter Abzug von Urlaubstagen – an insgesamt 40 Tagen Dienst geleistet zu haben.
...
Der Zweck einer Wiedereingliederungsmaßnahme, nämlich die schrittweise Genesung des Beamten und dessen Heranführung an sein (erst noch wieder zu erlangendes) volles Leistungsvermögen zu fördern, verbietet es aber diese Tätigkeiten als „Dienst“ zum Gegenstand einer dienstlichen Beurteilung zu machen.
Vgl. Bodanowitz, in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und Richter, 70. Aktualisierung 4/2021, B. VI. 1., Rn. 349; BVerwG, Beschluss vom 11. Juni 2015 – 2 B64.14 –, juris, Rn. 7 ff.; OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2014 – 1 A 1946/12 –, juris, Rn. 25.
Die aktive Diensttätigkeit des Antragstellers im Kalender- und Beurteilungsjahr 2020 an damit 40 Tagen (etwa acht Dienstwochen bzw. etwa zwei Dienstmonaten) hat zusammengerechnet deutlich weniger als drei Monate und mit knapp 16 % weniger als 20 % der Arbeitstage ausgemacht.
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass das Kalenderjahr 2020 (grundsätzlich) 254 Arbeitstage hatte (366 Kalendertage abzgl. insgesamt 104 Samstage/Sonntage abzgl. 8 Feiertage, die nicht auf Samstage/Sonntage gefallen sind).
Diese Annahme ist auch mit Blick auf den an Samstagen/Sonntagen/Feiertagen stattfindenden Bahnverkehr plausibel. Nach der von dem Antragsteller als Anlage 9 zur Beschwerdebegründung vorgelegten „Abrechnung Jahresarbeitszeit/Urlaub“ hat sein
individuelles regelmäßiges Jahresarbeitszeit-Soll im Kalenderjahr 2019 nämlich 2.036 Stunden betragen, was bei unterstellten 8 Dienststunden pro Tag ebenfalls zu (gut) 254 Arbeitstagen führt. Selbst wenn das Jahresarbeitszeit-Soll des Antragstellers im Jahr 2020 mit unterstellten 230 Diensttagen geringer gewesen sein sollte, wäre der Anteil mit etwa 17 % immer noch geringer als 20 %.
(bb) Eine ausdrückliche Regelung, unter welchen Voraussetzungen eine (aktive) dienstliche Tätigkeit in einem Beurteilungszeitraum in zeitlicher Hinsicht nicht mehr als Tatsachengrundlage für eine dienstlich Beurteilung genügt, enthält die
Konzernbetriebsvereinbarung „Personalentwicklung“ zwischen dem Vorstand der Deutschen Bahn AG und dem Konzernbetriebsrat der Deutschen Bahn AG – im Folgenden: KBV – nicht. Eine solche ausdrückliche Regelung sieht etwa § 12 Satz 1 PostLEntgV vor, nach dem eine Leistungs- oder Gesamtbeurteilung nicht stattfindet, wenn die Beamtin oder der Beamte infolge von Dienstunfähigkeit oder aus anderen von ihr oder ihm nicht zu vertretenden Gründen im Beurteilungszeitraum – wie der Antragsteller – weniger als drei Monate aktiven Dienst verrichtet hat. Einen dem in zeitlicher Hinsicht entsprechenden Anhaltspunkt für den vorliegenden Fall gibt § 6 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 1 zur KBV, nach dem sich für die jährliche Gesamteinschätzung eine Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Führungskraft von (auch) mindestens drei Monaten empfiehlt.
(cc) Dass es bei einer dienstlichen Tätigkeit, die – wie im Falle des Antragstellers – (deutlich) unter 25 % der Arbeitszeit im Beurteilungszeitraums ausmacht, an einer ausreichenden Tatsachengrundlage für eine dienstliche Beurteilung fehlt, folgt maßgeblich aus der Wertung, die der Regelung des § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV zugrunde liegt. Danach ist die letzte
regelmäßige dienstliche Beurteilung einer wegen einer Tätigkeit als Personalratsmitglied, Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen oder Gleichstellungsbeauftrage von der dienstlichen Tätigkeit freigestellten Person fiktiv fortzuschreiben, wenn die dienstliche Tätigkeit jeweils weniger als 25 % der Arbeitszeit beansprucht.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV regelt für die dort (nicht abschließend) aufgezählten Fälle die fiktive Fortschreibung der letzten regelmäßigen dienstlichen Beurteilung eines Beamten unter Berücksichtigung der Entwicklung vergleichbarer Beamtinnen und Beamter. Die Vorschrift betrifft gerade solche Fälle, in denen die betroffenen Bediensteten keine bewertbare Dienstleistung erbracht haben und bei deren späterer dienstlicher Beurteilung deshalb eine dienstliche Leistung fiktiv hinzugedacht werden soll. Mit der Fortschreibungspflicht hat der Verordnungsgeber gesetzlich bestimmte Diskriminierungsverbote für die von der Vorschrift ausdrücklich umfassten Personengruppen umgesetzt.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 – 2 VR 2.15 –, juris, Rn. 30; und vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris, Rn. 23; sowie ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – 1 B 681/12 –, juris, Rn. 10 ff., m. w. N.
Dieser Regelung liegt damit erkennbar die allgemeine Wertung zugrunde, dass dienstliche Tätigkeiten mit einem Anteil von unter 25 % der Arbeitszeit grundsätzlich nicht bewertbar sind und nicht für eine dienstliche Beurteilung ausreichen. Etwas anderes folgt nicht aus dem Vortrag des Antragsgegners, § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV bezwecke, Nachteile der betroffenen Personengruppen auszuschließen, weil diese bei einer überwiegenden Wahrnehmung ihrer Aufgaben (zu mindestens 75 %) ineinem besonderen Spannungsverhältnis zur Dienststellenleitung stünden und eine objektive Leistungsbewertung umso schwieriger sei, je häufiger sie der Behördenleitung widersprechende Auffassungen vertreten müssten. Es trifft zwar zu, dass die durch § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV umgesetzten Benachteiligungsverbote – wie etwa § 10 BPersVG – der inneren und äußeren Unabhängigkeit der freigestellten Beamten dienen und gewährleisten, dass diese ihr Amt unbeeinflusst von der Furcht vor Benachteiligungen (in ihren beruflichen Perspektiven) und von der Aussicht auf Begünstigungen wahrnehmen können.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 2006 – 2 C 13.05 –, juris, Rn. 13 (zu freigestellten Personalratsmitgliedern).
Dass aber der Verordnungsgeber die 25 %-Grenze in § 33 Abs. 3 Nr. 3 BLV statuiert haben könnte, um die Unabhängigkeit der freigestellten Beamten in Relation zu dem quantitativen Anteil an Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen, ist abwegig. Es liegt auf der Hand, dass auch bereits ein geringerer Anteil an Aufgabenwahrnehmung für freigestellte Beamte das Risiko birgt, kontroverse Ansichten zu vertreten.
(dd) Anders als der Antragsgegner meint kann auch nicht der jeweilige Vorgesetzte beurteilen, ob eine repräsentative und damit beurteilungsfähige Leistung vorliege, und zwar auch nicht unter Zuhilfenahme früherer Erkenntnisse in der Zusammenarbeit. Eine dem entsprechende Regelung findet sich in der KBV nicht. Eine allein im freien Ermessen des
jeweiligen Vorgesetzten liegende Entscheidung über die – rein objektiv beurteilbare – Frage, ob in zeitlicher Hinsicht eine ausreichende dienstliche Tätigkeit eines Beamten vorliegt, widerspräche zudem den Anforderungen an ein einheitliches und gleichmäßig anzuwendendes Beurteilungssystem.
Vgl. zu den Anforderungen an ein gleichmäßiges Beurteilungssystem: BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 – 2 C 16.02 –, juris, Rn. 13.
Auch ein hilfsweiser Rückgriff auf frühere Erkenntnisse über die Zusammenarbeit wäre unzulässig. Eine dienstliche Beurteilung muss den im Beurteilungszeitraum tatsächlich vorhandenen Leistungsstand des Beamten bewerten,
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2009 – 2 VR 1.09 –, juris, Rn. 4,
und nicht in einem anderen Beurteilungszeitraum erbrachte Leistungen.
(2) Die dienstliche Beurteilung des Antragstellers ist – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV fiktiv fortzuschreiben. Diese Regelung ist bei einem – wie hier – auf krankheitsbedingten Ausfallzeiten beruhendem Mangel an beurteilbarer Diensttätigkeit nicht anwendbar.
Zwar bestimmt § 33 Abs. 3 Satz 1 BLV die Fälle, in denen eine fiktive Fortschreibung einer dienstlichen Beurteilung möglich sein soll („jedenfalls“), nicht abschließend.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2016– 2 VR 2.15 –, juris, Rn. 30, und vom 12. Dezember 2017 – 2 VR 2.16 –, juris, Rn. 23; sowie ausführlich: OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2012 – 1 B 681/12 –, juris, Rn. 13.
§ 33 Abs. 3 Satz 1 BLV ist aber eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen ist. Sie kann nicht auf Fälle angewandt werden, die von ihrer Zielrichtung, nämlich gesetzliche Benachteiligungsverbote umzusetzen, nicht umfasst sind.
Vgl. Lorse, ZBR 2017, 11, 16 f.; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 16. März 2017 – 10 B 11626/16 –, juris, Rn. 6.
Krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten von Beamten sind jedoch nicht von gesetzlichen Benachteiligungsverboten erfasst. Bei krankheitsbedingten Ausfallzeiten handelt es sich auch sonst nicht um einen vom Dienstherrn zu vertretenden Umstand, der – etwa unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht – den Dienstherrn zum Ausgleich von beruflichen Nachteilen in der Karriere des Beamten oder der Beamtin verpflichten könnte. Ergibt sich danach – wie hier – im Einzelfall, dass eine Beurteilungslücke entsteht, ist dies beurteilungsrechtlich hinzunehmen.
Vgl. zu krankheitsbedingten Fehlzeiten: VG Saarland, Beschluss vom 29. März 2018 – 2 L 1723/17 –, juris, Rn. 20 bis 24; eine fiktive Fortschreibungspflicht des Dienstherrn für einen „betriebsbedingt“ faktisch beschäftigungslosen Beamten aus Fürsorgegründe bejahend: Thür. OVG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 2 EO 500/16 –, juris, Rn. 24.
(b) Eine offensichtliche Chancenlosigkeit des Antragstellers gegenüber dem Beigeladenen ließe sich – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – derzeit auch nicht auf die früheren dienstlichen Beurteilungen („Mitarbeiterdialog ohne Zielvereinbarung“) der Bewerber für den Beurteilungszeitraum vom 15. Februar 2017 bis 15. August 2018 (Antragsteller) bzw. 14. Februar 2017 bis 22. Oktober 2018 (Beigeladener) stützen.
Zwar entspricht es dem Leistungsgrundsatz, Aussagen in früheren dienstlichen Beurteilungen bei der Bewerberauswahl vergleichend mit zu berücksichtigen, wenn sich ein Qualifikationsgleichstand zwischen den Bewerbern nach ihren aktuellen Beurteilungen ergibt oder – wie hier – ein Qualifikationsvergleich für den aktuellen Beurteilungszeitraum wegen einer Beurteilungslücke bei einem Bewerber nicht möglich ist. Dabei sind aktuellere – noch aussagekräftigere – frühere Beurteilungen vorrangig vor älteren heranzuziehen. Demnach wäre der Antragsgegner gehalten, zunächst den unmittelbar vor dem Beurteilungszeitraum 2020 liegenden Beurteilungszeitraum (für den Antragsteller: 16. August 2018 bis 31. Dezember 2019; für den Beigeladenen 23. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2019) in seine Auswahlentscheidung einzubeziehen, der zurzeit nicht von dienstlichen Beurteilungen abgedeckt ist. Der Antragsgegner hat insoweit mitgeteilt, im Jahr 2020 (offensichtlich gemeint: 2019) seien aufgrund einer Umstellung seines Beurteilungssystem keine Beurteilungen erstellt worden. Die Pflicht des Dienstherrn zur Erstellung dienstlicher Beurteilungen zur Erstellung lückenloser dienstlicher (Vor-)Beurteilungen – s. bereits unter 1. b) (a) (1) – entfällt aber nicht, weil er sein Beurteilungssystem überarbeitet. Vielmehr ist er dann verpflichtet, nach Abschluss seiner Umstellungsarbeiten seinen Beamten und Beamtinnen dienstliche Beurteilungen nach den Vorgaben seines neuen Beurteilungssystems zu erstellen. Gründe, die ihn daran hindern könnten, hat der Antragsgegner nicht vorgebracht.
(c) Der Antragsteller würde sich schließlich nicht unter Berücksichtigung von Hilfskriterien als chancenlos gegenüber dem Beigeladenen erweisen. Bevor der Antragsgegner auf Hilfskriterien zurückgreifen dürfte, wären zur Verwirklichung des Leistungsgrundsatzes zunächst die Aussagen in den – den Bewerbern nach dem soeben Ausgeführten erst noch zu erstellenden – Vorbeurteilungen und nötigenfalls in den davorliegenden älteren Beurteilungen zu berücksichtigen.
(d) Wie der Qualifikationsvergleich zwischen den Bewerbern nach Erstellung der dienstlichen Beurteilungen für den Zeitraum vom 16. August 2018 (Antragsteller) bzw. 23. Oktober 2018 (Beigeladener) bis 31. Dezember 2019 ausgehen wird, lässt sich nicht sicher prognostizieren. Es erscheint aber jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller sich aufgrund dieser Beurteilung gegenüber dem Beigeladenen wird durchsetzen können, zumal beide Bewerber in ihren vorangegangenen Beurteilungen nahezu identisch beurteilt worden sind. In dem Beurteilungszeitraum vom 15. Februar 2017 bis 15. August 2018
(Antragsteller) bzw. 14. Februar 2017 bis 22. Oktober 2018 (Beigeladener) sind beide Bewerber mit der damals besten Gesamteinschätzung „5“ bewertet worden. Dabei hat derAntragsteller in drei von fünf Einzelkriterien die beste Bewertung „5“ erhalten und in zwei Einzelkriterien die zweitbeste Note „4“ und der Beigeladene in vier von fünf Einzelkriterien die Bestnote „5“ und in einem Einzelkriterium die Note „4“. Im Übrigen würde der Antragsgegner auch diese Beurteilungen neu zu erstellen haben, bevor er sie (rechtsfehlerfrei) einer Auswahlentscheidung zugrunde legen könnte. Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat in seinem Beschluss vom 26. November 2020 – 13 L 951/20 –, mit dem es dem ersten Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf den streitgegenständlichen Dienstposten stattgegeben hat, zutreffend festgestellt (Beschlussabdruck, S. 9 ff.), dass es diesen Beurteilungen des Antragstellers und des Beigeladenen jeweils an der erforderlichen Begründung des Gesamturteils fehle, die mit Blick auf die Möglichkeit der unterschiedlichen Gewichtung der Einzelleistungen auch nicht entbehrlich sei.
2. Der weiter erforderliche Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben.
...
Bejaht man einen Anspruch auf Erteilung einer Beurteilung, dann gehen die Probleme erst richtig los: Wie soll denn beurteilt werden, wenn nicht Dienst verrichtet wurde? Hierüber können die Gelehrten endlos streiten.
Eine Idee könnte sein, dass man frühere Beurteilungen fortschreibt. Aber wie genau?
Oder soll man eine Vergleichsgruppe bilden und sich daran orientieren, wie sich das Niveau der Beurteilungen verändert hat?