Teilnahme des Beamten an Beweiserhebungen / Disziplinarrecht der Hansestadt Hamburg
Das Recht des Beamten auf Beweisteilhabe im Hamburger Disziplinargesetz
Teilnahmerecht des Beamten, § 26 IV HmbDG:
(1) ... (3)4) Dem Beamten ist Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeuginnen, Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen. Er kann von der Teilnahme ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, erforderlich ist. Ein schriftliches Gutachten ist ihm zugänglich zu machen, soweit nicht zwingende Gründe dem entgegenstehen.
Eindeutig gestärkt haben die neuen Disziplinargesetze das Teilnahmerecht des Beamten im Disziplinarverfahren.
In den letzten Jahren unter der HmbDO, dem früheren hamburgischen Gesetz, wurden in den nichtförmlichen Verfahren oft zwar die Verteidiger, nicht aber die Beamten selbst zu den Vernehmungen eingeladen.
Dies hätte sich mit Einführung des Disziplinargesetzes im Jahr 2004 eigentlich ändern müssen. Aber den Ermittlungsführern ist es lästig, sie fühlen sich gestört und suchen deshalb nach Begründungen dafür, den Beamten nicht einladen zu müssen. Aber sie sind nach dem Disziplinargesetz grundsätzlich dazu verpflichtet und inzwischen (2013) setzt man das endlich auch um.
Eigentlich erschreckend ist der Anspruch einiger Ermittlungsführer, sie könnten die Wahrheit finden, ohne dem Beamten Gelegenheit zu geben, kritische Fragen zu stellen. Vernehmungen vermeiden diese Ermittlungsführer und versenden dann zum Beispiel Zeugenfragebögen. Natürlich halten Sie es nicht für notwendig, die Fragen vorab mit den Beamten und ihren Bevollmächtigten zu erörtern oder gar deren Einverständnis mit einem solchen Vorgehen einzuholen. Wir sehen das sehr kritisch.
In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass jeder Ausschluss des Beamten in das grundrechtlich gesicherte rechtliche Gehör des Beamten eingreift. Die Entscheidung, den Beamten auszuschließen, könne nicht generell getroffen werden. Sie dürfe sich nur jeweils auf eine einzelne Beweiserhebung beziehen.
Ausschluss des Beamten von Teilnahme an Zeugenvernehnung
Auch in diesen Fragen gibt es jedoch höchst unterschiedliche juristische Auffassungen.
So vertritt zum Beispiel das OVG NRW folgende Auffassung:
OVG NRW, Beschluss vom 04.03.22 – 1 B 174/22 –
RN 7
1. Nicht zu folgen ist zunächst der Ansicht des Antragstellers, sein Ausschluss von der am 7. Oktober 2020 erfolgten Vernehmung der Zeugin ZOSin T. sei rechtswidrig gewesen, weil er hierdurch gehindert worden sei, dieser gegenüber Vorhalte zu machen. Zwar trifft es zu, dass der Ermittlungsführer die Teilnahme des Antragstellers – nicht auch der Bevollmächtigten des Antragstellers – an der Zeugenvernehmung mit seinem an die Bevollmächtigten des Antragstellers gerichteten Ladungsschreiben vom 29. September 2020 ausgeschlossen hat. Diese Verfahrenshandlung findet aber in der gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 BBG entsprechend anzuwendenden Regelung des § 24 Abs. 4 Satz 2 BDG eine hinreichende Stütze. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte von der Teilnahme an der Vernehmung (u. a.) von Zeugen ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, erforderlich ist. Der Ermittlungsführer hat den wichtigen Grund ausweislich seines Ladungsschreibens vom 29. September 2020 darin gesehen, dass eine persönliche Teilnahme des Antragstellers insbesondere aufgrund der Art der gegen ihn erhobenen Vorwürfe für eine unvoreingenommene und unbeeinflusste Vernehmung nicht zweckdienlich erscheine. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Ist die als Zeuge zu vernehmende Person nach den gegenüber dem Beamten erhobenen Vorwürfen Opfer eines Verhaltens des Beamten geworden, so ist zu befürchten, dass sie in Anwesenheit des Beamten eingeschüchtert ist und nicht unbefangen oder nicht wahrheitsgemäß aussagt. In einer solchen Situation einer drohenden "Wahrheitsgefährdung"
RN 8
– vgl. insoweit Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder (= Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band II), Stand: Januar 2022, BDO § 24 Rn. 148 f. (Rückgriff auf § 247 StPO), und unter Berufung auf diese Literaturstelle auch BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 – 2 A 6.15 –, juris, Rn. 25 –
RN 9
kann es daher zur Sicherung eines zutreffenden Ermittlungsergebnisses und, gerade wenn es um sexuelle Verfehlungen geht, auch bei einer – hier allerdings nicht ersichtlichen – drohenden Gesundheitsgefahr für die als Zeuge zu vernehmenden Person erforderlich sein, den Beamten von einer Teilnahme an der Vernehmung auszuschließen.
RN 10
Vgl. Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, BDG § 24 Rn. 16 f., und Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder (= Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band II), Stand: Januar 2022, BDO § 24 Rn. 148 bis 150.
RN 11
So liegt der Fall hier. Die Zeugin ZOSin T. hatte bereits bei dem Personalgespräch vom 1. Juli 2020 gezögert, zu dem im Raum stehenden Vorwurf, der Antragsteller habe sie am 19. März 2020 sexuell belästigt, überhaupt auszusagen, und dabei auch auf die erhebliche seelische und körperliche Belastung hingewiesen, die eine Aussage ihr abnötige. Schon diese ohne weiteres nachvollziehbare emotionale Lage der Zeugin hat die Entscheidung des Ermittlungsführers gerechtfertigt, ihr dadurch eine wahrheitsgemäße Aussage zu ermöglichen, dass eine Konfrontation mit dem Antragsteller vermieden wird. Der Ausschluss nach § 24 Abs. 4 Satz 2 BDG hat den Antragsteller auch nicht etwa daran gehindert, der Zeugin Vorhalte zu machen bzw. kritisch nachzufragen. Er konnte dies nämlich durch seine Bevollmächtigten tun, die nicht von einer Teilnahme an der Vernehmung ausgeschlossen waren und die – in der Person des Assessors X. – auch tatsächlich bei der Zeugenvernehmung zugegen gewesen sind.
RN 7
1. Nicht zu folgen ist zunächst der Ansicht des Antragstellers, sein Ausschluss von der am 7. Oktober 2020 erfolgten Vernehmung der Zeugin ZOSin T. sei rechtswidrig gewesen, weil er hierdurch gehindert worden sei, dieser gegenüber Vorhalte zu machen. Zwar trifft es zu, dass der Ermittlungsführer die Teilnahme des Antragstellers – nicht auch der Bevollmächtigten des Antragstellers – an der Zeugenvernehmung mit seinem an die Bevollmächtigten des Antragstellers gerichteten Ladungsschreiben vom 29. September 2020 ausgeschlossen hat. Diese Verfahrenshandlung findet aber in der gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 BBG entsprechend anzuwendenden Regelung des § 24 Abs. 4 Satz 2 BDG eine hinreichende Stütze. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte von der Teilnahme an der Vernehmung (u. a.) von Zeugen ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, erforderlich ist. Der Ermittlungsführer hat den wichtigen Grund ausweislich seines Ladungsschreibens vom 29. September 2020 darin gesehen, dass eine persönliche Teilnahme des Antragstellers insbesondere aufgrund der Art der gegen ihn erhobenen Vorwürfe für eine unvoreingenommene und unbeeinflusste Vernehmung nicht zweckdienlich erscheine. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Ist die als Zeuge zu vernehmende Person nach den gegenüber dem Beamten erhobenen Vorwürfen Opfer eines Verhaltens des Beamten geworden, so ist zu befürchten, dass sie in Anwesenheit des Beamten eingeschüchtert ist und nicht unbefangen oder nicht wahrheitsgemäß aussagt. In einer solchen Situation einer drohenden "Wahrheitsgefährdung"
RN 8
– vgl. insoweit Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder (= Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band II), Stand: Januar 2022, BDO § 24 Rn. 148 f. (Rückgriff auf § 247 StPO), und unter Berufung auf diese Literaturstelle auch BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 – 2 A 6.15 –, juris, Rn. 25 –
RN 9
kann es daher zur Sicherung eines zutreffenden Ermittlungsergebnisses und, gerade wenn es um sexuelle Verfehlungen geht, auch bei einer – hier allerdings nicht ersichtlichen – drohenden Gesundheitsgefahr für die als Zeuge zu vernehmenden Person erforderlich sein, den Beamten von einer Teilnahme an der Vernehmung auszuschließen.
RN 10
Vgl. Wittkowski, in: Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, BDG § 24 Rn. 16 f., und Weiß, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder (= Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band II), Stand: Januar 2022, BDO § 24 Rn. 148 bis 150.
RN 11
So liegt der Fall hier. Die Zeugin ZOSin T. hatte bereits bei dem Personalgespräch vom 1. Juli 2020 gezögert, zu dem im Raum stehenden Vorwurf, der Antragsteller habe sie am 19. März 2020 sexuell belästigt, überhaupt auszusagen, und dabei auch auf die erhebliche seelische und körperliche Belastung hingewiesen, die eine Aussage ihr abnötige. Schon diese ohne weiteres nachvollziehbare emotionale Lage der Zeugin hat die Entscheidung des Ermittlungsführers gerechtfertigt, ihr dadurch eine wahrheitsgemäße Aussage zu ermöglichen, dass eine Konfrontation mit dem Antragsteller vermieden wird. Der Ausschluss nach § 24 Abs. 4 Satz 2 BDG hat den Antragsteller auch nicht etwa daran gehindert, der Zeugin Vorhalte zu machen bzw. kritisch nachzufragen. Er konnte dies nämlich durch seine Bevollmächtigten tun, die nicht von einer Teilnahme an der Vernehmung ausgeschlossen waren und die – in der Person des Assessors X. – auch tatsächlich bei der Zeugenvernehmung zugegen gewesen sind.
Vorbereitung auf die Vernehmung muss möglich sein. Mitteilung des Beweisthemas
Der Beamte muss sich aber auch auf die Vernehmungen vorbereiten können.
Im Strafverfahren ist ihm das in aller Regel schon deshalb möglich, weil die Zeugen schon vor der gerichtlichen Verhandlung einmal vernommen wurden und Aktenmaterial vorliegt, insbesondere Vernehmungsprotokolle der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Auch ergibt sich aus dem Kontext einer laufenden Verhandlung, um welche Fragen es gehen könnte.
Im Disziplinarverfahren ist die Situation eine andere. Zwar haben der Betroffene und sein Anwalt ein Akteneinsichtsrecht, aber weshalb der Ermittlungsführer bestimmte Personen vorlädt (und andere nicht), bleibt oft sein Geheimnis.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem
Beschluss vom 18.11.08 - BVerwG 2 B 63.08 - unter anderem folgendes zu der bundesrechtlichen
Vorschrift § 24 IV BDG ausgeführt:
"Der Beklagte macht zu Recht geltend, der Ermittlungsführer hätte in den Ladungen zu den Zeugenvernehmungen den Namen der Zeugen und die Beweisthemen angeben müssen.
Gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG ist dem Beamten Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen (Recht auf Beweisteilhabe). Der Beamte kann das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setzt voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssen ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordert auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren (Urteil vom 15.12.05 - BVerwG 2 A 4.04 -).
Der Ermittlungsführer hat den Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe jedoch im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt. Denn er hat dem Beklagten nachträglich durch Schreiben vom 27.01.04 angeboten, ihm die Vernehmungsniederschriften zu übersenden. Dadurch erhielt der Beklagte die Gelegenheit, Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen. Der Ermittlungsführer hätte womöglich Zeugen erneut vernehmen müssen (vgl. Urteil vom 15.12.05 a.a.O.). Der Beklagte hat diese Möglichkeiten jedoch nicht wahrgenommen."
"Der Beklagte macht zu Recht geltend, der Ermittlungsführer hätte in den Ladungen zu den Zeugenvernehmungen den Namen der Zeugen und die Beweisthemen angeben müssen.
Gemäß § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG ist dem Beamten Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen (Recht auf Beweisteilhabe). Der Beamte kann das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setzt voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssen ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordert auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren (Urteil vom 15.12.05 - BVerwG 2 A 4.04 -).
Der Ermittlungsführer hat den Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe jedoch im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt. Denn er hat dem Beklagten nachträglich durch Schreiben vom 27.01.04 angeboten, ihm die Vernehmungsniederschriften zu übersenden. Dadurch erhielt der Beklagte die Gelegenheit, Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen. Der Ermittlungsführer hätte womöglich Zeugen erneut vernehmen müssen (vgl. Urteil vom 15.12.05 a.a.O.). Der Beklagte hat diese Möglichkeiten jedoch nicht wahrgenommen."
Schriftliche "Zeugenvernehmung"?
In dem erwähnten Urteil vom 15.12.05 BVerwG - 2 A 4.04 - führt das Bundesverwaltungsgericht aus:
"Das Gebot der Gehörsgewährung vermittelt dem Beamten ein Recht auf Beweisteilhabe, insbesondere das Recht auf Zugang zu den Quellen der Sachverhaltsermittlung. Das gilt im behördlichen Disziplinarverfahren gemäß § 24 Abs. 4 BDG nicht nur bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen.Für die gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BDG zulässige Einholung schriftlicher Äußerungen muss Entsprechendes gelten. Die Entscheidung des verfahrensleitenden Dienstvorgesetzten bzw. des in seinem Auftrag tätigen Ermittlungsführers, eine schriftliche Äußerung einzuholen anstatt eine Vernehmung durchzuführen, kann nicht zu einer Beeinträchtigung des Rechts auf Beweisteilhabe führen. Die sich daraus ergebende Pflicht, dem Beamten die schriftlichen Äußerungen vollständig zugänglich zu machen, ist auch Ausdruck des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anspruchs des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren (BVerfGE 101, 397 ; BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.12.04 2 BvR 52/02, NJW 2005, 1344 )."