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Mobbing

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.02 - III ZR 2 77/01 -

Wird eine Beamtin während des Dienstes von einem Vorgesetzten systematisch und fortgesetzt schikaniert und beleidigt (Mobbing), haftet der Dienstherr für die entstehenden Schäden nach Amtshaftungsgrundsätzen.
Der mobbende Beamte selbst haftet nicht unmittelbar.

Sachverhalt:

Der Kläger verlangt von einem früheren Vorgesetzten seiner Tochter ein Schmerzensgeld und die Erstattung von Beerdigungskosten.
Die Tochter des Klägers verrichtete einige Wochen lang als Polizeibeamtin ihren Dienst in einer Dienstgruppe, deren Dienstgruppenleiter der Beklagte war. Danach ging sie für einige Tage wegen eines psycho-vegetativen Erschöpfungssyndroms in stationäre Behandlung. Etwa zwei Wochen später verübte sie einen Suizid.
In einem Abschiedsbrief hatte sie geäußert, sie habe keine Lust mehr, sich von der Dienstgruppe quälen zu lassen.

Der Kläger hat behauptet, der Dienstgruppenleiter habe seine Tochter fortlaufend schikaniert, ihre dienstlichen Leistungen herabgewürdigt und sie in obszöner Weise ständig beleidigt. Der von ihm ausgeübte Psychoterror sei Ausdruck seiner Grundhaltung gewesen; er habe im Dienst seinen geradezu triebhaften Zwang ausgelebt, Frauen zu erniedrigen und zu demütigen.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen, die sich gegen den Vorgesetzten persönlich richtete. Die Revision des Klägers bleibt erfolglos.


Aus den Gründen:

Die in Frage kommenden Schadensersatzansprüche richten sich Art. 34 S. 1 GG gegen das Land als Dienstherrn und nicht gegen den Vorgesetzten persönlich.

1.
a) § 839 II BGB setzt voraus, dass der Amtsträger in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes handelt. Dies bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung des Handelns der Person hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob ggf. zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe abzustellen, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient.

b) Nach § 2 BRRG steht der Beamte zu seinem Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Im Verhältnis zum Vorgesetzten obliegen dem Beamten Beratungs-, Unterstützungs- und Gehorsamspflichten. Umgekehrt bestimmen die in den Beamtengesetzen enthaltenen Pflichten das Verhalten des Vorgesetzten zu seinen Untergebenen. Im Umgang mit ihnen ist er zu einem korrekten, achtungs- und vertrauenswürdigen Auftreten verpflichtet, wobei er sich eines angemessenen Umgangstons zu befleißigen hat.
[Anmerkung: das erwähnte BRRG - Beamtenrechtsrahmengesetz - wurde 2009 durch das Beamtenstatusgesetz abgelöst.]

c) Angesichts dieser beamtenrechtlichen Regelungen wird ein Vorgesetzter, der im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung einen Untergebenen respektlos behandelt, regelmäßig hoheitlich tätig. Dies hat nach Amtshaftungsgrundsätzen zur Folge, dass für daraus entstehende Schäden des Untergebenen grundsätzlich nicht der vorgesetzte Beamte persönlich, sondern dessen Dienstherr haftet.

2.
Dass jedenfalls bezüglich der fortgesetzten anstößigen Beleidigungen ein konkreter dienstlicher Anlass nicht immer erkennbar ist, sondern diese Äußerungen nur als Ausdruck einer frauenfeindlichen Grundhaltung des Beklagten zu erklären sind, rechtfertigt keine andere Beurteilung der Rechtslage.

a) Nach ständiger Rechtsprechung darf der Begriff der Ausübung eines einem Beamten anvertrauten öffentlichen Amtes nicht zu eng ausgelegt werden. Auch ein Missbrauch des Amtes zu eigennützigen, schikanösen oder gar strafbaren Zwecken, eine Pflichtwidrigkeit aus eigensüchtigen oder rein persönlichen Gründen schließt den für das Handeln in Ausübung des Amtes maßgeblichen inneren Zusammenhang zwischen Amtsausübung und schädigendem Verhalten nicht von vornherein aus. Insbesondere ist ein Tätigwerden in Ausübung des öffentlichen Amtes selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Beamte gerade das tut, was er verhindern sollte (wenn etwa Wachtpersonal, das Plünderungen vermeiden soll, sich selbst daran beteiligt, RGZ 104, 304; wenn ein Polizeibeamter, der die missbräuchliche Verwendung von Dienstfahrzeugen verhindern soll, selbst einen Dienstwagen zu einer Schwarzfahrt benutzt, BGHZ 124, 15 [18] = NJW 1994, 660).

b) Darüber hinaus ist zu beachten, dass der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden muss und es nicht angeht, die einheitliche Aufgabe in Einzelakte teils hoheitlicher, teils bürgerlich-rechtlicher Art aufzuspalten und einer gesonderten Beurteilung zu unterziehen (BGHZ 42, 176 [179f.] = NJW 1964, 658 zur Frage, ob die Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Verkehr als Dienst- oder Privatfahrt einzuordnen ist; BGHZ 16, 111 [112f.] = NJW 1955, 458 zur Paketbeförderung durch die damals noch öffentlich-rechtlich organisierte Post).

3.
Nach diesen Maßstäben käme vorliegend nur die Haftung des Landes als Dienstherr in Frage.

a) Die zu Tode gekommene Polizeibeamtin hatte mit dem Beklagten nur im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung Kontakt. Die Herabwürdigungen ihrer dienstlichen Leistungen durch den Beklagten, die Verweigerung von Hilfestellung, die diskriminierende Praxis, der Beamtin im Unterschied zu allen anderen (männlichen) Kollegen Dienstanweisungen nicht mehr mündlich, sondern durch Notizzettel zu erteilen, sowie das Ansinnen, eine falsche Anzeige aufzunehmen, haben eindeutig einen dienstlichen Bezug. Die notwendige innere Beziehung der schädigenden Handlung zur Dienstausübung ist insoweit fraglos gegeben, und zwar ohne Rücksicht auf die Absichten und Beweggründe des Beklagten.

b) Bezüglich der fortgesetzten Beleidigungen ist eine Betrachtungsweise dahin, dass bei Vorfällen ohne konkreten Bezug zu dienstlichen Vorgängen der Vorgesetzte nach allgemeinem Deliktsrecht persönlich haften soll, nicht möglich.
Aus den von der Revision angeführten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes.
BGHZ 11, 181 = NJW 1954, 716 lag der Fall zu Grunde, dass ein Truppenangehöriger einen Offizier "aus Wut und Rache" plötzlich durch einen aus einer Maschinenpistole abgegebenen Feuerstoß getötet hatte. Hier hat der Senat einen inneren Zusammenhang zwischen Tat und Dienst verneint, obgleich die persönlichen Beweggründe zur Tat durch Vorkommnisse im Dienst veranlasst worden waren. Mit einer derartigen Konstellation, der eine spontane, selbst in Kriegszeiten kaum nachvollziehbare Überreaktion zu Grunde liegt, die strafrechtlich möglicherweise als Mord zu ahnden ist, ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Er zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass ein Vorgesetzter seine hervorgehobene Amtsstellung in einer im Einzelfall mehr oder weniger auf einen konkreten dienstlichen Anlass bezogenen Art und Weise dazu missbraucht, einen Untergebenen systematisch und fortgesetzt zu beleidigen, zu schikanieren und zu diskriminieren (Mobbing). Diese Verhaltensweise erfordert eine einheitliche Beurteilung, die dann, wenn das Mobbing im Rahmen bestehender Beamtenverhältnisse stattfindet, zur Anwendung von Amtshaftungsrecht führt.

4.
Dies hat zur Folge, dass allein das Land als Dienstherr des Beklagten passiv legitimiert ist. Soweit die Revision darauf hinweist, dass neben Ansprüchen aus Amtshaftung auch eine persönliche Ersatzpflicht des Amtsträgers aus anderem Rechtsgrund in Frage kommen kann, betrifft dies insbesondere Ansprüche gegen den Beamten nach § 7 StVG (etwa wenn der Beamte mit seinem eigenen Pkw eine Dienstfahrt durchführt). Hingegen verbleibt es allein bei der Haftung aus § 839 BGB, Art. 34 S. 1 GG, wenn der Beamte in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine Handlung begeht, die bei Anwendung des allgemeinen Deliktsrechts den Tatbestand des § 823 I und II (i. V. mit §§ 185, 223 StGB) oder des § 826 BGB erfüllen würde. Aus der Entscheidung BGHZ 147, 381 = NJW 2001, 2626 ergibt sich nichts anderes.

5.
Diese Haftungsfolge ist sachgerecht. Sie führt zu klaren und eindeutigen Ergebnissen, die für den Geschädigten mehr Vor- als Nachteile mit sich bringen. Dem geschädigten Beamten steht insbesondere ein leistungsfähiger Schuldner gegenüber. Die Subsidiaritätsklausel des § 839 I 2 BGB greift im Allgemeinen schon deshalb nicht ein, weil fahrlässiges Mobbing kaum denkbar ist. Auch § 839 III BGB wird in gravierenden Fällen, in denen die Mobbing-Handlungen des Vorgesetzten mit (zumindest) stillschweigender Billigung der anderen (männlichen) Kollegen erfolgt sind, kaum zu einem Anspruchsverlust führen. In einer derartigen Situation muss das "Mobbing-Opfer" befürchten, dass durch Einlegung einer Beschwerde eine Besserung seiner Situation nicht zu erreichen, vielmehr eine deutliche Verschlechterung zu befürchten ist. Eine unbillige Entlastung des handelnden Beamten ist damit nicht verbunden, da in eindeutigen "Mobbing-Fällen", in denen ein Vorgesetzter seine Amtsbefugnisse vorsätzlich und schwerwiegend missbraucht, der haftende Dienstherr Regress nehmen kann (§ 46 BRRG).
[Anmerkung: das erwähnte BRRG - Beamtenrechtsrahmengesetz - wurde 2009 durch das Beamtenstatusgesetz abgelöst. Es dürfte jetzt § 48 Beamtenstatusgesetz einschlägig sein.]
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