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nicht mehr aktuelle Entscheidung zu Tätowierung eines Beamten

Die Entscheidung ist Rechtsgeschichte, im Ergebnis ist sie aus rechtlichen Gründen überholt.
Sie beschreibt aber eine konservative jutistische Haltung, die sich nicht völlig überlebt hat.
Ihren Argumenten begegnet man immer wieder. Gefordert ist dann eine sachliche Auseinandersetzung.


Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.15 - 4 S 1914/15 -


Leitsatz

1. Das in Nr. 3.3 der Leitlinien des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Dienst- und Zivilkleidung sowie zum äußeren Erscheinungsbild der Polizei Baden-Württemberg (Az. 3-0303/9) enthaltene Verbot von Tätowierungen, die einen vertrauensunwürdigen Eindruck erwecken und im Dienst sichtbar sind, ist mit höherrangigem Recht vereinbar.

2.
Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt einem Bewerber für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für den mittleren Polizeivollzugsdienst des Landes Baden-Württemberg einen Anspruch auf Gleichbehandlung bei der "Tolerierung" von Tätowierungen nur innerhalb des Geltungsbereichs der baden-württembergischen Landesverfassung.

Verfahrensgang
vorgehend VG Sigmaringen, 26. August 2015, Az: 5 K 2479/15, Beschluss


Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 26. August 2015 - 5 K 2479/15 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1
Die Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den - mit der Beschwerde allein weiterverfolgten - Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn in die Auswahl für die Einstellung zum 01.03.16 in den Vorbereitungsdienst für den mittleren Polizeivollzugsdienst unter Berücksichtigung der von ihm bisher erzielten Ergebnisse einzubeziehen, zu Recht abgelehnt. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe rechtfertigen die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.

2
Die mit dem Antrag der Sache nach begehrte Vorwegnahme der Hauptsache kommt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.13 - 10 C 9.12 -, BVerwGE 146, 189, und Beschluss vom 13.08.1999 - 2 VR 1.99 -, BVerwGE 109, 258). Diese Voraussetzungen liegen auch nach dem Beschwerdevorbringen nicht vor.

3
1. Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht allerdings nicht bereits entgegen, dass der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch genommen hat, bevor der Antragsgegner eine Auswahlentscheidung für die zum 01.03.16 zu besetzenden Stellen für eine Einstellung in den Vorbereitungsdienst getroffen hat. Der Antragsteller musste sich im vorliegenden Einzelfall nicht darauf verweisen lassen, den Abschluss des Verwaltungsverfahrens abzuwarten. Der Antragsgegner hat sich der Sache nach dazu entschieden, über die Eignung der Bewerber in einem „gestuften Auswahlverfahren“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.04.06 - 2 VR 2.05 -) zu befinden und bei einer ersten Auswahl solche Bewerber auszuschließen, die seines Erachtens - unabhängig von einem Leistungsvergleich mit den übrigen Bewerbern - für die zu besetzenden Stellen nicht in Betracht kommen. Jedenfalls dann, wenn der Dienstherr eine Bewerbung - wie hier - bereits in diesem Verfahrensstand endgültig ablehnt, kann der Bewerber grundsätzlich einstweiligen Rechtsschutz zur Sicherung seiner Position in dem Auswahlverfahren in Anspruch nehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.04.06, a.a.O.).

4
2. Dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass der Antragsteller, der sich unter dem 21.11.14 zunächst nur für eine Einstellung zum 01.09.15 beworben hatte, die am 15.05.15 abgelaufene Frist für den Einstellungstermin vom 01.03.16 versäumt hat. Denn der Antragsgegner hat im erstinstanzlichen Verfahren erklärt, den Antragsteller, falls er im gerichtlichen Verfahren obsiege, „für März 2016“ unter Einbeziehung der im bisherigen Auswahlverfahren erzielten Ergebnisse zu berücksichtigen.

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3. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ergibt sich indes aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

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Das vom Antragsgegner betriebene Verfahren, an dem der Antragsteller weiterhin teilzunehmen begehrt, dient der Auswahl der Bewerber für den Vorbereitungsdienst für die Laufbahn des mittleren Polizeivollzugsdienstes, die zu Beamten auf Widerruf ernannt werden (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 LVOPol). Zu diesen öffentlichen Ämtern hat gemäß Art. 33 Abs. 2 GG jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang. Das hierin zum Ausdruck kommende Leistungsprinzip eröffnet dem Einzelnen allerdings keinen Anspruch auf Übernahme in das Beamtenverhältnis, sondern lediglich darauf, dass über seine Bewerbung allein nach Maßgabe der in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Kriterien entschieden wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.1975 - 2 BvL 13/73 -, BVerfGE 39, 334; BVerwG, Beschlüsse vom 06.04.06 - 2 VR 2.05 - und vom 01.02.06 - 2 PKH 3.05 -, Juris m.w.N.).

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a) An den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG gemessen steht der Glaubhaftmachung eines mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden Anordnungsanspruchs bereits entgegen, dass zum Einstellungstermin vom 01.03.16 voraussichtlich 300 Bewerber eingestellt werden und der Antragsteller nach den im Auswahlverfahren gezeigten Leistungen nur Rang 350 einnimmt. Der Antragsgegner hat ausgeführt, nach den bisherigen Erfahrungen sei eine Absagequote von 20 Bewerbern bereits überdurchschnittlich hoch und der Antragsteller werde deshalb bei realistischer Betrachtung - unabhängig von der Bewertung seiner Tätowierung - nach dem Grundsatz der Bestenauslese nicht zum Zuge kommen. Dem setzt das Beschwerdevorbringen keine substantiierten Einwände entgegen.

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b) Unabhängig davon ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner den Antragsteller mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Leistungsvergleich mit den übrigen Bewerbern einbeziehen muss.

9
Die durch den (künftigen) Dienstherrn vorzunehmende Beurteilung der Eignung eines Bewerbers für das von ihm angestrebte öffentliche Amt bezieht sich auf die künftige Amtstätigkeit des Betroffenen und enthält zugleich eine Prognose, die eine konkrete und einzelfallbezogene Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Bewerbers verlangt. Sie umfasst auch eine vorausschauende Aussage darüber, ob der Betreffende die ihm in dem angestrebten Amt obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten erfüllen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.04.1989 - 2 C 9.98 -, BVerwGE 81, 365; Battis, BBG, § 8 RdNr. 15 m.w.N.). Bei diesem prognostischen Urteil steht dem Dienstherrn ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.09.03 - 2 BvR 1436/02 -, BVerfGE 108, 282; BVerwG, Urteil vom 22.02.1990 - 2 C 13.87 -, DVBl. 1990, 867). Die Beurteilungsermächtigung bewirkt, dass die Eignungseinschätzung von den Verwaltungsgerichten nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.01.03 - 2 A 1.02 -). Zur Ablehnung der Einstellung genügen bereits berechtigte Zweifel des Dienstherrn daran, ob der Beamte die Eignung besitzt, die für die Ernennung notwendig ist (Senatsbeschlüsse vom 27.11.08 - 4 S 2332/08 - und vom 14.02.13 - 4 S 2426/12 -). Dass die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller wegen bestehender Eignungszweifel nicht weiter am Auswahlverfahren teilnehmen zu lassen, an diesen Maßstäben gemessen mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtsfehlerhaft ist, ist dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen.

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Zu den - auch im Beamtenverhältnis auf Widerruf zu beachtenden - beamtenrechtlichen Kernpflichten gehört die Pflicht, dienstliche Anordnungen der Vorgesetzten auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG). Solche Richtlinien hat der Antragsgegner in den „Leitlinien des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Dienst- und Zivilkleidung sowie zum äußeren Erscheinungsbild der Polizei Baden-Württemberg“ (Az. 3-0303/9 - im Folgenden: Leitlinien) erlassen. Danach dürfen im Dienst - ausgenommen beim Dienstsport - (u.a.) jegliche Tätowierungen nicht sichtbar sein (Nr. 3.3 Satz 1 der Leitlinien). Tätowierte Darstellungen dürfen ferner - auch an durch Kleidung abgedeckten Körperstellen - nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen sowie keine diskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder sonstigen gesetzlich verbotenen Motive enthalten oder nach dem Erscheinungsbild und der inhaltlichen Aussage im Einzelfall einen achtungs- und vertrauensunwürdigen Eindruck erwecken (Nr. 3.3 Satz 2 der Leitlinien).

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Das Verwaltungsgericht hat - seine Entscheidung selbständig tragend - ausgeführt, die Annahme des Antragsgegners, das Motiv der Tätowierung des Antragstellers stelle einen Eignungsmangel dar, weil es einen vertrauensunwürdigen Eindruck erwecke, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Zum einen sei das Motiv geeignet, bei einem objektiven Betrachter einen ablehnenden und furchteinflößenden Eindruck zu hinterlassen. Zum anderen habe der Antragsteller selbst vorgetragen, er habe mit der Tätowierung auf andere eine abschreckende Wirkung erzielen wollen. Es bedürfe keiner weitergehenden Begründung, dass ein Polizeibeamter keine abschreckende Wirkung auf andere ausüben solle. Die Beschwerde legt keinen Grund dar, der eine Änderung dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtfertigen könnte.

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aa) Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, Tätowierungen „wie diese“ seien in der Gesellschaft weit verbreitet, akzeptiert und toleriert. Mit diesem allgemeinen Hinweis auf die Akzeptanz von Tätowierungen zeigt er nicht auf, aus welchen Gründen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu der Wirkung des konkreten Motivs des vorliegenden Einzelfalls unzutreffend sein sollten. Das Verwaltungsgericht hat die Beurteilung des Dienstherrn, das konkrete Motiv wirke abschreckend, unbeanstandet gelassen und zur Begründung auf die Einzelheiten der abgebildeten Maske - auch nach der zwischenzeitlich erfolgten Übertätowierung - verwiesen. Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Der bloße Hinweis darauf, dass im Zuge der Übertätowierung die Farben der Augen der Maske verändert, die Reißzähne entfernt und die Hörner (tatsächlich: ein Horn) in Blüten verwandelt worden seien, lässt nicht erkennen, weshalb das Verwaltungsgericht den Beurteilungsspielraum des Antragsgegners zu weit gezogen haben soll. Die Tätowierung zeigt nach wie vor ein Gesicht mit verfremdeten, verzerrt wirkenden Zügen, aufgerissenem Mund und gebleckten Zähnen, im Ansatz zusammengekniffenen Augen, von denen Schnittwunden oder Narben über beide Wangen verlaufen, unter einem Helm, der auch nach der Übertätowierung ein Horn zeigt. Welche Emotionen das Gesicht ausdrückt, ist angesichts der Verfremdungen unsicher. Der Antragsgegner überschreitet seinen Beurteilungsspielraum auch nach Auffassung des Senats weiterhin nicht, wenn er annimmt, dass dieses Motiv jedenfalls dazu geeignet ist, auf Betrachter abschreckend zu wirken.

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bb) Soweit der Antragsteller geltend macht, er habe das Motiv nicht „allgemein“ zur Abschreckung anderer, sondern nur deshalb gewählt, weil es für ihn für Schutz und gleichzeitig für eine Abschreckung „von Gegnern“ gestanden habe, lässt auch dies keinen Grund erkennen, der eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung gebietet. Der Antragsteller räumt damit selbst ein, dass das Motiv jedenfalls auch dem Zweck dient, Personen, die ihm aus seiner Sicht als „Gegner“ gegenüberstehen, abzuschrecken. Das bestätigt die Auffassung des Verwaltungsgerichts und des Antragsgegners, das Motiv sei (objektiv) geeignet, auf andere eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Aus welchen (subjektiven) Gründen der Antragsteller es ausgewählt hat, ist insoweit ohne Belang.

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cc) Ein Grund, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern, ergibt sich auch nicht aus dem Einwand des Antragstellers, seine Tätowierung sei Ausdruck seines Persönlichkeitsrechts, und die Entscheidung, ihm deshalb die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst zu versagen, eine unverhältnismäßige Einschränkung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG sowie seines grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG.

15
Bestimmungen zum äußeren Erscheinungsbild von Polizeibeamten greifen in das Recht der betroffenen Beamten auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und bedürfen deshalb einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.06 - 2 C 3.05 -, BVerwGE 125, 85). Das in Nr. 3.3 der Richtlinien (u.a.) enthaltene Verbot vertrauensgefährdender sichtbarer Tätowierungen findet diese Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1 LBG. Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 LBG sind Beamte verpflichtet, nach näherer Bestimmung ihrer obersten Dienstbehörde Dienstkleidung und Dienstrangabzeichen zu tragen, wenn es ihr Amt erfordert. Für Beamte des Landes erlässt nach § 55 Abs. 1 Satz 2 LBG die jeweilige oberste Dienstbehörde im Einvernehmen mit dem Finanz- und Wirtschaftsministerium diese „näheren Bestimmungen“. Die Rechtsgrundlage aus § 55 Abs. 1 LBG ermächtigt die oberste Dienstbehörde - das Innenministerium für Beamte des Polizeivollzugsdienstes - nicht nur dazu festzulegen, welche Amtsinhaber bei welchen Anlässen welche Dienstkleidung zu tragen haben, sondern auch dazu, flankierende Vorgaben für die äußere Erscheinung im Dienst - damit auch für Tätowierungen - zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.06, a.a.O., m.w.N.; Plog/Wiedow/Wiegand, BBG, Bd. 5, Landesrecht Baden-Württemberg, § 55 LBG RdNr. 2).

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Das in Nr. 3.3 der Leitlinien enthaltene Verbot vertrauensgefährdender sichtbarer Tätowierungen ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Letzteres ist bei einer Regelung zum äußeren Erscheinungsbild dann der Fall, wenn sie geeignet und erforderlich ist, um dienstliche Erfordernisse, nämlich die mit der Uniformpflicht verfolgten Zielsetzungen zu fördern, und die Grenzen der Zumutbarkeit für die Betroffenen wahrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.06, a.a.O., m.w.N.). Bei der Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit steht der obersten Dienstbehörde ein gerichtlich nur begrenzt nachprüfbarer Einschätzungsspielraum zu, dessen inhaltliche Reichweite insbesondere von Schwere und Intensität des jeweiligen Eingriffs abhängt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.01.1991 - 2 BvR 550/90 -, NJW 1991, 1477; BVerwG, Urteil vom 15.01.1999 - 2 C 11.98 -, Buchholz 237.1 Art. 83 BayLBG Nr. 1). Wenn die Vorgabe zum äußeren Erscheinungsbild - wie hier - nicht nur die Dienstzeit, sondern zwangsläufig auch die private Lebensführung betrifft, muss die Einschätzung der obersten Dienstbehörde, die Vorgabe sei aus dienstlichen Gründen geeignet und erforderlich, auf plausible und nachvollziehbare Gründe gestützt sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.06, a.a.O.).

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Nach diesem Maßstab hat der Antragsgegner durch das in Nr. 3.3 Satz 2 der Leitlinien enthaltene Verbot vertrauensgefährdender sichtbarer Tätowierungen die Grenzen seines Einschätzungsspielraums gewahrt. Seine Einschätzung, die darin enthaltenen Regelungen seien als flankierende Maßnahme geboten, um die mit der Uniformpflicht verbundenen Zielsetzungen (vgl. dazu Nrn.1 und 2 der Leitlinien) zu unterstützen, ist plausibel und nachvollziehbar und von seinem Einschätzungsspielraum gedeckt.

18
Die Uniform soll - neben der Kundgabe der Legitimation des Beamten (vgl. Nr. 2 der Leitlinien und BVerwG, Urteil vom 02.03.06, a.a.O.) - die Neutralität ihrer Träger zum Ausdruck bringen. Sie soll sichtbares Zeichen dafür sein, dass die Individualität der Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person der handelnden Beamten als Maßnahmen des Staates empfunden werden. Dieser durch die Uniform vermittelte Anschein der Neutralität kann durch ein Erscheinungsbild uniformierter Polizeibeamter beeinträchtigt werden. Das ist nicht bereits dann der Fall, wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine Erscheinungsform für die eigene Person ablehnt oder allgemein nicht für vorteilhaft hält. Eine Erscheinungsform kann aber dann die Neutralitätsfunktion der Uniform in Frage stellen, wenn die so auftretenden Personen von weiten Kreisen der Bevölkerung ausgegrenzt werden oder ihnen doch Vorbehalte der Art begegnen, die erwarten lassen, dass sie bei der Amtsausübung nicht ernst genommen werden oder ihnen das dabei erforderliche Vertrauen nicht entgegengebracht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.03.06, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.09.14 - 6 B 1064/14 -, ZBR 2015, 25; s. auch Hessischer VGH, Beschluss vom 09.07.14 - 1 B 1006/14 -, NVwZ-RR 2015, 54; Günther, ZBR 2015, 116 <119>; Michaelis, JA 2015, 370 <371>). Danach ist es gemessen an Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner in Nr. 3.3 Satz 2 der Leitlinien (u.a.) solche Tätowierungen verbietet, die einen vertrauensunwürdigen Eindruck erwecken und im Dienst sichtbar sind. Aus Art. 33 Abs. 2 GG, der Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 31.08 -, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 44), ergeben sich insoweit keine anderen Maßstäbe (vgl. zu Letzterem Hessischer VGH, Beschluss vom 09.07.14, a.a.O.).

19
dd) Ohne Erfolg macht der Antragsteller sinngemäß geltend, seine Tätowierung könne die Neutralitätsfunktion seiner Uniform nicht infrage stellen, weil sie sich „nur rudimentär im sichtbaren Bereich (Sommeruniform)“ befinde.

20
Es bedarf keiner Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen der Dienstherr vollständig verdeckte - etwa auf dem Rücken befindliche - Tätowierungen untersagen kann (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.01.09 - 6 S 38.08 -, Juris). Der Antragsgegner hat ausgeführt, das Tattoo des Antragstellers sei jedenfalls beim Tragen des Sommerdiensthemdes und erhobenem Arm vollständig sichtbar und es widerspreche jeglicher Lebenswirklichkeit anzunehmen, dass der Beamte bei der Dienstausübung nur vernachlässigbar selten seinen Arm anhebe. Dem Beschwerdevorbringen ist nichts dafür zu entnehmen, dass der Antragsgegner mit dieser Beurteilung seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat. Es ist insbesondere nicht dargelegt, dass der Antragsgegner von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Angesichts der Größe des ca. 14 x 11 cm umfassenden und sich über die gesamte Länge des Oberarms erstreckenden Motivs, das bereits bei hängendem Arm leicht über die Ärmelkante hinausragt, ist seine Einschätzung plausibel und nachvollziehbar, dass das Motiv jedenfalls in bestimmten, auch nicht völlig atypischen Situationen im Dienst sichtbar werden kann, wenn der Beamte in der Sommeruniform seinen Arm - u.U. auch über den Kopf - anhebt, wie dies etwa bei Zeichen und Weisungen zur Verkehrslenkung und -kontrolle, bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs oder in ähnlichen Situationen denkbar ist, in denen der Verbleib des Ärmels auf dem Oberarm nicht gewährleistet ist. Bereits sich daraus ergebende Zweifel an der uneingeschränkten Eignung des Antragstellers für die sich im mittleren Polizeivollzugsdienst ergebenden Anforderungen muss der Antragsgegner bei der Entscheidung über die Einstellung eines Bewerbers nicht hinnehmen.

21
ee) Der Antragsteller macht weiter sinngemäß geltend, die Entscheidung des Antragsgegners sei gleichheitswidrig (Art. 3 Abs. 1 GG), weil es im Polizeivollzugsdienst Beamte gebe, die tätowiert seien. Zur Begründung verweist er auf einen im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Bericht der „Thüringer Allgemeinen“ vom 22.08.15. Damit zeigt das Beschwerdevorbringen keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auf. Das gilt unabhängig davon, dass nach den im Bericht zitierten Angaben des Thüringischen Innenministeriums auch dort keine Tätowierungen „toleriert“ werden, die einen achtungs- und vertrauensunwürdigen Eindruck erzeugen, und unabhängig davon, dass das dem Bericht entnommene Lichtbild ein Tätowierungsmotiv (Sonne) zeigt, das mit dem demjenigen des Klägers nicht wesentlich gleich ist. Der Verweis auf die Praxis anderer Bundesländer geht bereits deshalb fehl, weil Art. 3 Abs. 1 GG dem Antragsteller einen Anspruch auf Gleichbehandlung durch den Antragsgegner nur innerhalb des Geltungsbereichs der baden-württembergischen Landesverfassung vermittelt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13.08.1977 - VI C 85.75 -, Buchholz 237.4 § 74 HmbBG Nr. 2, und vom 09.09.1997 - 8 B 185.97 -, Juris, m.w.N.; s. auch Niedersächsisches OVG, Urteil vom 09.06.15 - 5 KN 148/14 -, DÖV 2015, 803; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.06.15 - 2 A 10910/14 -, Juris).

22
ff) Ist dem Beschwerdevorbringen mithin nicht zu entnehmen, dass der Antragsgegner seinen Beurteilungsspielraum mit den auf die Einhaltung von Nr. 3.3 der Leitlinien bezogenen Eignungszweifeln mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Tätowierung des Antragstellers (allein) darüber hinaus auch Zweifel an seiner charakterlichen Eignung rechtfertigt (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.05.14 - 6 B 523/14 -, Juris).
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