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Disziplinarmaßnahme und beamtenrechtliche Folgen

Es mag verwundern, wenn von disziplinarrechtlichen Konsequenzen und beamtenrechtlichen Folgen gesprochen wird.

Ist die Sache denn mit der disziplinarrechtlichen Sanktion nicht endgültig abgetan?

Nein, das ist sie nicht.

Keine Beförderung während laufendem Disziplinarverfahren

Zunächst gilt, dass während eines gegen den Beamten geführten Straf- oder Disziplinarverfahrens Probleme entstehen können, weil die (charakterliche) Eignung des Beamten nicht mehr außer Zweifel steht. Befördert werden soll also eigentlich nicht - es sei denn, die Zweifel können im Einzelfall ausgeräumt werden.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.05.2021 - BVerwG 2 VR 2.21 -

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b) Davon ausgehend ist in der ständigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der Dienstherr berechtigt ist, einen Beamten für die Dauer eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens wegen der damit begründeten Zweifel an dessen Eignung von einer möglichen Beförderung auszunehmen.
Der Dienstherr würde sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten setzen, wenn er einen solchen Beamten vor der abschließenden Klärung des disziplinarischen Vorwurfs beförderte und damit die Eignung des Betreffenden für eine höherwertige Verwendung bejahte, obwohl er zuvor mit der Einleitung disziplinarischer Ermittlungen zu erkennen gegeben hat, dass Anlass besteht, die Amtsführung oder das persönliche Verhalten des Betreffenden in seinem bisherigen Status zu beanstanden. Sachwidrig ist der Ausschluss des Beamten aus dem Beförderungsauswahlverfahren allerdings dann, wenn angesichts der gegen ihn erhobenen Vorwürfe offensichtlich kein Anlass dafür gegeben war, in einem Disziplinarverfahren zu prüfen, ob er seine Dienstpflichten verletzt hat, oder wenn das Disziplinarverfahren aus anderen Gründen missbräuchlich eingeleitet wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1987 - 6 C 32.85 - Buchholz 236.1 § 31 SG Nr. 21 S. 3, Beschluss vom 24. September 1992 - 2 B 56.92 - Buchholz 236.1 § 42 SG Nr. 1 S. 1; OVG Weimar, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 2 EO 781/06 - juris Rn. 35; OVG Lüneburg, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 5 ME 504/07 - juris Rn. 3; OVG Magdeburg, Beschluss vom 3. März 2014 - 1 M 18/14 - juris Rn. 7 m.w.N.; OVG Bautzen, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - 2 B 455/13 - juris Rn. 21, 25; OVG Münster, Beschluss vom 24. März 2016 - 1 B 1110/15 - RiA 2016, 222 <223> m.w.N.; OVG Koblenz, Beschluss vom 10. August 2017 - 2 B 11299/17 - NVwZ 2017, 1556 Rn. 5 m.w.N.; VGH Kassel, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 1 B 2211/17 - ZBR 2019, 52 <53> m.w.N.). Gleiches gilt, wenn bei Durchführung des Auswahlverfahrens schon erkennbar ist, dass das Disziplinarverfahren kurz vor der Einstellung steht, oder wenn ersichtlich ist, dass es mit einer Einstellung enden müsste (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 ME 351/07 - RiA 2008, 184 <185>; OVG Bautzen, Beschluss vom 9. Oktober 2013 - 2 B 455/13 - juris Rn. 25; OVG Münster, Beschluss vom 24. März 2016 - 1 B 1110/15 - RiA 2016, 222 <223>).
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c) Gemessen daran ist die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden, den Antragsteller wegen des gegen ihn laufenden Disziplinarverfahrens nicht in den Leistungsvergleich der für das Beförderungsamt grundsätzlich für geeignet gehaltenen Bewerber einzubeziehen.
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Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung über den Ausschluss des Antragstellers aus der Leistungsauswahl in einer den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügenden Weise im Auswahlvermerk dokumentiert und ermessensfehlerfrei getroffen.
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aa) Der gegen den Antragsteller gerichtete Verdacht eines Dienstvergehens war im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung nicht offenkundig haltlos, sondern begründet und rechtfertigte die Aufnahme disziplinarischer Ermittlungen sowie den im Auswahlvermerk dokumentierten Schluss, dass Zweifel an der persönlichen Eignung des Antragstellers für das angestrebte Beförderungsamt bestehen, das mit Führungsfunktionen verbunden ist.
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Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 2019 wegen des Vorwurfs eingeleitet, dass der Antragsteller gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten im Dienst (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) verstoßen habe. Dem lag zugrunde, dass sich Mitarbeiterinnen, die Zeuginnen Va und Jo, Anfang Juli 2019 an die Gleichstellungsbeauftragte gewandt und ihr eine von der Zeugin Va erstellte sog. Zitatenliste übergeben hatten. In dieser Liste sind detailliert wortwörtliche Äußerungen des Antragstellers als ihrem damals vorgesetzten Sachgebietsleiter festgehalten, die er in den Jahren 2014 bis 2018 verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber getätigt haben soll. Darunter sind Äußerungen, die frauenverachtende, sexistische und sexualisierte Gewalt betonende, inzestuöse, pädophile, diskriminierende sowie den Holocaust verharmlosende Inhalte haben. Angesichts dieser gegen den Antragsteller erhobenen konkreten Vorwürfe von ihm unterstellten Mitarbeiterinnen bestand für den Dienstherrn ein begründeter Anlass, ein Disziplinarverfahren einzuleiten und zu prüfen, ob der Antragsteller diese Äußerungen getätigt und damit seine Dienstpflicht zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 3 BBG) verletzt hat.
21 Die Einschätzung der Antragsgegnerin, das eingeleitete Disziplinarverfahren begründe Zweifel an der Führungseignung des Antragstellers, war - entgegen der Annahme des Antragstellers - im Auswahlvermerk nicht im Einzelnen zu erläutern; diese Folgerung drängt sich auf.
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Weiter liegt auf der Hand, dass der begründete Verdacht eines Dienstvergehens nicht durch bislang erreichte herausragende Beurteilungsergebnisse im Führungsverhalten entkräftet wird. Deshalb musste sich die Antragsgegnerin im Auswahlvermerk dazu nicht verhalten.
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bb) Auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheinen die gegen den Antragsteller erhobenen disziplinaren Vorwürfe und die darauf gründenden Eignungszweifel nicht offensichtlich unbegründet.
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Nach dem Ermittlungsbericht vom 2. März 2021 steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im behördlichen Disziplinarverfahren zur Überzeugung des Ermittlungsführers fest, dass der Antragsteller in der Zeit von Oktober 2014 bis März 2019 75 Äußerungen der sog. Zitatenliste und zwei weitere mündlich bekundete Äußerungen gegenüber Mitarbeitern getätigt hat, die die beschriebenen Inhalte aufweisen. Der Ermittlungsführer hält die Aussage der Zeugin Va für glaubhaft, weil sie die Situationen, in denen die Äußerungen des Antragstellers gefallen seien sollen, plastisch, detailreich und widerspruchsfrei geschildert, sie die Äußerungen nach eigenem Bekunden zeitnah schriftlich fixiert und ihre erst späte Offenbarung plausibel begründet habe. Die Zeugen Ol und Se, Mitarbeiter im Sachgebiet, hätten das von Frau Va gezeichnete Verhaltensmuster des Antragstellers glaubhaft bestätigt, ebenso die Zeugin Pi. Die beiden von der Zeugin Jo bekundeten sexistischen Äußerungen Anfang 2019 seien von der damaligen Referatsleiterin des Antragstellers, der Zeugin La, bestätigt worden. Die Zeugin La habe glaubhaft bekundet, den Antragsteller auf die von mehreren Personen an sie herangetragenen Vorfälle angesprochen und gerügt zu haben.
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Nach diesem Ermittlungsstand ist nicht ersichtlich, dass das Disziplinarverfahren mit einer Einstellung enden müsste und deshalb der Grund für die angenommenen Zweifel an der Eignung des Antragstellers nicht bestanden hat. Nach den verbliebenen Vorwürfen besteht nach wie vor der begründete Verdacht eines Dienstvergehens, das im Fall seiner Nachweisbarkeit im Hinblick auf Anzahl und Inhalt der Äußerungen als schwerwiegend einzuordnen ist. Welche konkrete Disziplinarmaßnahme unter Abwägung aller Umstände zu verhängen sein wird, ist weder im Rahmen des Auswahlverfahrens noch hier im darauf bezogenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu prognostizieren. Die abschließende Klärung, ob ein Dienstvergehen nachweisbar vorliegt und welche Disziplinarmaßnahme auszusprechen ist, ist dem behördlichen Disziplinarverfahren und - gegebenenfalls - dem disziplinargerichtlichen Verfahren vorzubehalten. Deshalb ist entgegen der Annahme des Antragstellers auch nicht vorgreifend zu beurteilen oder abzuschätzen, ob es zur Verhängung einer strengeren Disziplinarmaßnahme kommt, die mit einem Beförderungsverbot verbunden ist, oder zu einer milderen Disziplinarmaßnahme wie des Verweises oder der Geldbuße, die einer Beförderung nach Beendigung des Disziplinarverfahrens nicht entgegensteht. Wie ausgeführt, rechtfertigt allein der Umstand, dass gegen ihn ein Disziplinarverfahren mit den dargestellten Vorwürfen anhängig ist, Zweifel an seiner persönlichen Eignung, die den Dienstherrn berechtigten, ihn aus dem Auswahlverfahren auszunehmen. Ungeachtet dessen sei angemerkt, dass vorliegend nach der Schwere des Dienstvergehens - seine Nachweisbarkeit unterstellt - zumindest eine Kürzung der Dienstbezüge in Betracht kommen dürfte.
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cc) Ohne Erfolg bleibt die Rüge des Antragstellers, das Disziplinarverfahren sei ohne sachliche Gründe monatelang nicht betrieben worden.
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Dabei kann unentschieden bleiben, ob eine gegen das Beschleunigungsgebot des § 4 BDG verstoßende Durchführung des Disziplinarverfahrens, das eine Beförderung hindert, nur im Rahmen von Schadensersatzansprüchen des Beamten Berücksichtigung finden kann, nicht aber im einstweiligen Rechtsschutzverfahren um die Vergabe des Beförderungsamtes. Denn auch im Fall der pflichtwidrigen Verzögerung des Disziplinarverfahrens bestehen die aus den disziplinaren Vorwürfen resultierenden Zweifel an der Eignung des Beamten fort (vgl. OVG Weimar, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 2 EO 781/06 - juris Rn. 38 f.; OVG Koblenz, Beschluss vom 10. August 2017 - 2 B 11299/17 - NVwZ 2017, 1556 Rn. 9; OVG Münster, Beschluss vom 21. August 2018 - 1 B 1483/17 - juris Rn. 18 m.w.N.).
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Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsgegnerin das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller unangemessen verzögert hat. Das Disziplinarverfahren wurde zeitnah eingeleitet und seither ohne nennenswerte Unterbrechungen durch Anhörung des Antragstellers und schriftliche Zeugeneinvernahmen kontinuierlich betrieben. Der Präsident des BND leitete das Disziplinarverfahren mit Entscheidung vom 17. Juli 2019 ein. Nachdem der Antragsteller Anfang August 2019 förmlich über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet wurde und mit anwaltlicher Hilfe Akteneinsicht genommen hatte, übersandte der Ermittlungsführer Anfang September 2019 Fragenkataloge an die Zeuginnen Va und Jo. Die schriftlichen Zeugenäußerungen wurden dem Bevollmächtigten des Antragstellers Anfang Oktober 2019 übersandt. Der Bevollmächtigte nahm Anfang November 2019 Stellung und benannte Ende November 2019 weitere mögliche Zeugen. Ende Februar 2020 forderte der Ermittlungsführer acht weitere Zeugen zur schriftlichen Zeugenäußerung auf. Die Zeugenaussagen gingen, zum Teil nach Mahnung, Mitte Juni 2020 bei dem im Mai 2020 neu bestellten Ermittlungsführer ein und wurden an den Bevollmächtigten des Antragstellers zur Stellungnahme Anfang Juli 2020 weitergeleitet. Nach Prüfung dieser im August 2020 eingegangenen Stellungnahme führte der Ermittlungsführer Anfang Oktober 2020 eine ergänzende schriftliche Zeugenbefragung durch. Dazu nahm der Antragstellerbevollmächtigte Ende November 2020 Stellung. Der Ermittlungsbericht als Grundlage für die Abschlussverfügung wurde am 2. März 2021 erstellt und dem Bevollmächtigten zur Stellungnahme übersandt. Die sich damit ergebende, bisherige Verfahrensdauer von rund 23 Monaten erweist sich als noch angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ermittlungsführer eine nicht unerhebliche Anzahl von über mehrere Jahre getätigten Äußerungen in rechtlicher Hinsicht auf ihre Disziplinarwürdigkeit und in tatsächlicher Hinsicht darauf zu überprüfen hatte, ob sie nachweisbar vom Antragsteller getätigt worden sind. Dies erforderte Ermittlungen und eine Beweisaufnahme in nicht unerheblichem Umfang, wie die Breite der schriftlichen Aussagen der Zeugen (vgl. Ermittlungsbericht, Bl. 6 f.) anschaulich zeigt, und dementsprechend eine aufwendige Würdigung der Beweise in dem die Ermittlungen abschließenden Bericht.
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Es bestehen daher auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller rechtsmissbräuchlich verzögert geführt wurde, um seine Einbeziehung in die Leistungsauswahl zu vereiteln.


Die Entscheidung ist - jedenfalls in ihrer Umsetzung durch die Praxis - nicht ganz unproblematisch, da sich die Dienstherren unter Umständen überhaupt nicht damit befassen, um welche Vorwürfe es geht und ob der Verdacht nicht von Vornherein unbegründet ist.
Wer nun meint, es werde doch immer sorgfältig geprüft, bevor ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, der würde sich bisweilen, wenn auch vielleicht nur in seltenen Fällen, die Augen reiben. Es geschehen die unglaublichsten Dinge.

Beförderungssperre nach abgeschlossenem Disziplinarverfahren

Ferner geht man davon aus, dass durch eine disziplinarrechtliche Sanktion ein Zweifel an der Eignung des Beamten begründet wird, der im Regelfall erst durch eine Bewährung ausgeräumt werden kann, die in tadelloser Dienstleistung während der Zeit von sechs bis zwölf Monaten besteht.

Man argumentiert also: wegen des Disziplinarverfahrens gibt es begründete Zweifel an der charakterlichen Eignung und deshalb muss sich der Beamte nach beamtenrechtlichen Grundsätzen erst wieder bewähren, seine Eignung beweisen.
Das gilt auch dann, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt wird, aber in der Einstellungsverfügung ein Dienstvergehen festgestellt wird (vgl. z. B. OVN NRW, Beschluss vom 16.11.11 mit dem Aktenzeichen 1 B 976/11).

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