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Disziplinarrecht in Hamburg: Die Vorwürfe sind dem Beamten darzulegen

Anforderungen an die Bestimmtheit der Mitteilung über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens

Die Einleitung eines Disziplinarverfahrens wird dem Beamten in aller Regel schriftlich mitgeteilt.
Die Behörden sind teils sehr nachlässig bei der Beschreibung und Konkretisierung der Vorwürfe in den Einleitungsverfügungen in Disziplinarverfahren. Man beschränkt sich bisweilen auf Floskeln, nennt keine Zeiten, keinen Tatort, keine Begehungsmodalitäten.
Das macht es dem Beamten zunächst unmöglich, sich konkret zu verteidigen, und verstößt damit möglicherweise gegen rechtsstaatliche Grundsätze - vergleichen Sie nur die gesetzlich normierten Erwartungen an eine Anklageschrift in Strafverfahren, § 264 StPO.
Zwar ist § 264 StPO nicht unmittelbar in das Disziplinarrecht übertragbar, aber nur eine möglichst detaillierte Schilderung ermöglicht dem Beamten eine Verteidigung: er muss wissen, worum es geht.

Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Disziplinargesetze nicht mehr die gleichen, strengen Anforderungen stellen wie die früheren Disziplinarordungen.
Förmliche Einleitungsverfügungen sind nicht mehr zwingend vorgesehen.
Beachten Sie, dass gegen die Einleitung eines Verfahrens weder ein Widerspruch noch ein anderer Rechtsbehelf möglich ist. Sie müssen sich darauf einlassen, sich im Disziplinarverfahren nach den Regeln des Disziplinarrechts zu verteidigen.
Die nachstehende Entscheidung würde man gerne zum Maßstab machen, aber die Praxis ist weniger streng.
Das OVG NRW hat in einer Entscheidung vom 10.12.04 - 6d A 1663/03.O - zu der früheren Gesetzeslage sinngemäß unter anderem ausgeführt:

"Die Einleitungsverfügung muss den zu verfolgenden Verdacht einer Pflichtverletzung hinsichtlich des Sachverhalts wie auch der disziplinaren Beurteilung so konkret, eindeutig und substantiiert darlegen, wie es der gegebene Ermittlungsstand und der sich hieraus ergebende Verdacht zulassen.
Dazu gehören substantiierte Angaben über Zeit, Ort und Einzelheiten des vorzuwerfenden Verhaltens.


Hinzuweisen war früher auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die aus anderen Gründen weitreichende Beachtung gefunden hatte.
In dem Urteil vom 21.06.05 - Aktenzeichen 2 WD 12/04 - geht es um die Anerkennung der Gewissensentscheidung eines Soldaten im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg.
Am Rande fallen Brosamen ab, die das hier interessierende Thema betreffen. Aus den Leitsätzen:
"Eine Anschuldigungsschrift ist nur dann hinreichend bestimmt, wenn sie erkennen lässt, welche Pflichtverletzungen dem angeschuldigten Soldaten zur Last gelegt werden. Dies erfordert, dass ein konkreter und nachvollziehbar auf das Verhalten des Soldaten bezogener Geschehensablauf dargelegt und zu dem daraus abgeleiteten Vorwurf in Beziehung gesetzt wird. Der in der Anschuldigungsschrift erhobene Vorwurf muss in der exakten Verknüpfung zwischen der Darlegung des zur Last gelegten Verhaltens und den daraus vom Wehrdisziplinaranwalt gezogenen Schlussfolgerungen deutlich werden."

Als Konsequenz daraus, dass die Anschuldigungsschrift in einem Punkte nicht dem Bestimmtheitsgebot genügte und es insoweit an einer hinreichenden Anschuldigung im Sinne von § 99 I WDO fehlte, ergab sich der Freispruch des Soldaten von diesem Tatvorwurf.

Diese Entscheidung bezieht sich aber auf das gerichtliche Verfahren.

Die Pflichte zur Konkretisierung disziplinarischer Vorwürfe

Die nachstehende Entscheidung betrifft die Begründung einer abschließenden Entscheidung der Behörde, aber sie sollte auch bei der Abfassung von Entscheidungen / Mitteilungen über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beachtet werden.
Derr / die Betroffene kann sich nur sachgerecht verteidigen, wenn mitgeteilt wird, wann, wo und unter welchen Umständen welches konkret beschriebene Verhalten sich ergeben haben soll.

VG Saarlouis Entscheidung vom 07.02.08 - 7 K 131/07 -

Ob die angefochtene Disziplinarverfügung noch in anderer Hinsicht fehlerhaft ist, kann nach all dem dahinstehen. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass zumindest auch ihre Begründung - was das der Klägerin im Einzelnen als Dienstvergehen vorgeworfene Verhalten anbelangt - unzureichend erscheint.

Insbesondere der hinsichtlich der Steuerhinterziehung erhobene Vorwurf ("Die mit den oben genannten Tätigkeiten erzielten Einnahmen haben Sie nicht versteuert.") erscheint zu abstrakt; die Verfügung verdeutlicht insoweit nicht genügend, welches konkrete Tun oder Unterlassen der Klägerin vorgeworfen wird, was sich insbesondere auch daran zeigt, dass erst im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens vorgetragen wurde, das letzte pflichtwidrige Tun der Klägerin habe in der unvollständigen Abgabe ihrer Steuererklärung für das Jahr 2000 am 05.03.01 bestanden - ein Verhalten, das in der Disziplinarverfügung nicht konkret angesprochen wird.

Keine Äußerung, ohne zuvor Akteneinsicht zu nehmen!

Aber jeder Rechtsanwalt wird sich ohnehin nicht mit der Unterrichtung über die Einleitung eines Verfahrens zufrieden geben, sondern sich zunächst um Akteneinsicht bemühen, bevor er es in Betracht zieht, für den Beamten eine Stellungnahme abzugeben.

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