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Disziplinarrecht: sexuelle Belästigung einer Kollegin

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.07.91, 1 D 72.89

1. Ein intimes Verhältnis eines nicht verheirateten stellvertretenden Dienststellenleiters zu einer ihm dienstlich unterstellten Kanzlei- und Büroangestellten ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es unter Ausnutzung der Vorgesetzteneigenschaft des Beamten zustande gekommen oder fortgesetzt worden ist oder wenn dadurch sonstige dienstliche Belange beeinträchtigt worden sind.

2. Zum Disziplinarmaß bei sexuellen Belästigungen einer Behördenangestellten durch den Stellvertreter ihres Dienststellenleiters (hier: Gehaltskürzung).

Der Beamte, Bauoberrat, arbeitete bei seiner Behörde als technischer Leiter und zweiter Vertreter des Dienststellenleiters. Er unterhielt mehrere Monate lang sexuelle Beziehungen zu einer nicht verheirateten, ihm fachlich als Büro- und Schreibkraft unterstellten Angestellten, deren Arbeitszimmer neben seinem lag. Sie hatte dienstlich unter anderem für den Beamten zu schreiben. Während dieses Zeitraums kam es zwischen beiden in der Wohnung des unverheirateten Beamten wiederholt zum Geschlechtsverkehr.

Nach einvernehmlicher Beendigung ihrer sexuellen Beziehungen hörte der Beamte nicht auf, die Zeugin körperlich und verbal sexuell zu bedrängen, zu belästigen und sie zu beleidigen. Er ließ sich von diesem Verhalten nicht abhalten, obwohl die Zeugin ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass das zuvor einvernehmliche Intimverhältnis beendet sei, und sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihren Verlobten zu heiraten beabsichtige. Die Zudringlichkeiten des Beamten bestanden vor allem in körperlichen Berührungen sowie in - teilweise derben - verbalen Aufforderungen, mit ihm zu schlafen. Etwa zwei- bis dreimal forderte der Beamte sie mit dem Hinweis zum Geschlechtsverkehr auf, dass sie dann Vorteile haben könne, dass das Arbeitsklima lockerer wäre und sie höher eingruppiert werden könne. Der Beamte erklärte ihr ferner, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht mehr lange haben würde, wenn sie nicht zum Geschlechtsverkehr bereit sei; er werde einen Grund finden, sie loszuwerden. Er drohte ihr ferner mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, wenn sie sein Verhalten anzeigen würde.

Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten vom Vorwurf, mit der Zeugin geschlechtliche Beziehungen unterhalten zu haben, freigestellt. Wegen des weiteren Vorwurfs hat es seine Dienstbezüge um ein Zwanzigstel für neun Monate gekürzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Berufung gegen dieses Urteil zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

1) Zum ersten Anschuldigungspunkt - das Unterhalten intimer Beziehungen mit der Zeugin - ist die Freistellung vom disziplinarrechtlichen Vorwurf nicht zu beanstanden. Unwiderlegt hat der Beamte sich dahin eingelassen, dass er der Zeugin in der Zeit bis Ende März in der Dienststelle nicht zu nahe getreten sei, dass sich das Verhältnis zur Zeugin vielmehr im privaten Bereich entwickelt und ausschließlich dort auch abgespielt habe. Dienstliche Belange waren dadurch nicht betroffen. Bei beiden Partnern waren vielmehr Krisen in ihren persönlichen Beziehungen zu ihren damaligen Lebenspartner ausschlaggebend dafür, dass es zu dem intimen Verhältnis gekommen ist. Nichts spricht dafür, dass dieses Liebesverhältnis durch Ausnutzen der Vorgesetzteneigenschaft des Beamten zustande gekommen oder fortgesetzt worden wäre. Gegen eine Dienstbezogenheit dieses Verhältnisses spricht auch, dass der Beamte und die Zeugin sich aus menschlicher Zuneigung gefunden hatten. Um eine disziplinarrechtliche Pflichtwidrigkeit annehmen zu können, genügt das Eingehen einer solchen Beziehung allein nicht. Es müssen vielmehr Umstände hinzutreten, welche die dienstlichen Belange beeinträchtigen oder der Pflicht des Beamten zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten widersprechen. Nur weil die sexuelle Beziehung der damals  betroffenen Personen aufgrund örtlicher und zeitlicher Umstände deutlich dienstbezogen war und nicht das Ergebnis einer näheren gefühlsmäßigen Bindung, hat der Senat in dem Urteil vom 15.07.1983 - BVerwG 1 D 114.82 - (DÖD 1983, 273 = NJW 1984, 936) eine Pflichtwidrigkeit des Beamten angenommen und ihn deshalb gemaßregelt. Ein vergleichbarer Sachverhalt ist aber hier nicht festgestellt.

2) Der Senat sieht in dem Verhalten des Beamten zum zweiten Anschuldigungspunkt ebenso wie das Bundesdisziplinargericht einen schweren Verstoß gegen die Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten und deshalb ein Dienstvergehen. Den Beamten belastet besonders, dass er seine dienstliche Stellung als Vorgesetzter missbraucht und die Zeugin wiederholt in zum Teil derber Weise zu privaten außerdienstlichen Treffen und zur Fortsetzung des früheren intimen Verhältnisses zu bewegen versucht hat. Dieses Verhalten des Beamten hat das Vertrauensverhältnis nicht nur zum Dienstherrn, sondern ebenso zu seinen Mitarbeitern schwer geschädigt. Zutreffend hat das Bundesdisziplinargericht bereits ausgeführt, dass ein Beamter, der unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft durch sexuelle Zudringlichkeiten im Dienst auch nur versucht, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer ihm unterstellten Mitarbeiterin zu seinen Gunsten einzuschränken; das Ansehen der Beamtenschaft in erheblicher Weise beeinträchtigt, so dass eine weitere Tragbarkeit im öffentlichen Dienst grundsätzlich in Frage gestellt werden kann. Dies wird nicht dadurch abgemildert, dass der Beamte zuvor mit der Zeugin über einige Zeit eine intime Beziehung unterhalten hat. Nach der einverständlichen Beendigung dieses Verhältnisses und der späteren Heirat der Zeugin hätte der Beamte sich strikt zurückhalten müssen. Als Vorgesetzter wäre er verpflichtet gewesen, sich beispielhaft in dieser Hinsicht zu verhalten. Gerade dem hat er durch seine Handlungsweise in besonders krasser und rücksichtsloser Weise entgegengewirkt. Unter diesem Blickwinkel sieht der Senat auch keinerlei Anlass, auf die Berufung des Beamten die verhängte Disziplinarmaßnahme zu mildern.


Anmerkung: Erst später wurde das Beschäftigtenschutzgesetz erlassen, welches im Jahre 2006 durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz abgelöst wurde. Beide Gesetze enthalten konkretere Regelungen als das zur Zeit der zitierten Entscheidung geltende Recht.

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