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Disziplinarrecht: Diebstahl im Dienst - Entfernung aus dem Dienst

Begeht ein Beamter einen Diebstahl im Dienst oder unterschlägt der Beamte ihm anvertraute Gelder, so fällt dieses Verhalten in die Rubrik  Zugriffsdelikte.


Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 08.04.03 - 1 D 27. 02 -

Auf die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts aufgehoben.
Einem inzwischen pensionierten Postbetriebsinspektor a. D. wird wegen eines im aktiven Dienst begangenen Zugriffsdelikts das Ruhegehalt aberkannt.


I.

2.
Der Bundesdisziplinaranwalt hat den Ruhestandsbeamten angeschuldigt, ein Dienstvergehen begangen zu haben.
Das Bundesdisziplinargericht hat das Verfahren eingestellt. Es hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde gelegt:
"Sie waren Postbetriebsinspektor beim Zustellstützpunkt ….
Im November 1996 nahmen Sie in dem Raum, in dem die eingehende Post bearbeitet wird, vom dortigen Ausschütttisch einen verschlossenen Brief. Sie öffneten ihn, entnahmen hieraus einen 50,00-DM-Schein, den Sie für sich behielten und vernichteten anschließend den Brief."

Das Bundesdisziplinargericht hat unter Zugrundelegung eines Gutachtens des Instituts für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie der Universität X eine eingeschränkte Schuldfähigkeit des inzwischen in den Ruhestand versetzten Beamten zur Tatzeit festgestellt und die Verhaltensweise wie folgt gewürdigt:
Durch den Diebstahl in Tateinheit mit Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses habe der Beamte gegen die Pflichten zur vollen Hingabe an seinen Beruf, zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie zur Beachtung dienstlicher Anordnungen verstoßen und hierdurch schuldhaft ein Dienstvergehen begangen. Dieses Dienstvergehen sei disziplinar nicht nach den Grundsätzen der Amtsunterschlagung, sondern nach denen eines Diebstahls zu bewerten. Dies folge daraus, dass die Zustellung von Briefen nicht die eigentliche Aufgabe des Ruhestandsbeamten gewesen sei und er deshalb nicht im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt habe. Es komme deshalb auf die Beurteilung der Umstände des konkreten Einzelfalls an. Aufgrund der 30 jährigen tadellosen Dienstausübung, der besonderen Verdienste mit mehrmaligen Leistungszulagen und Belobigungen, der fehlenden strafrechtlichen und disziplinaren Maßregelung wäre der Ruhestandsbeamte, befände er sich noch im Dienst, aus diesem nicht entfernt worden. Da ein Ruhestandsbeamter nicht degradiert werden könne, hätte nur eine Ruhegehaltskürzung in Betracht kommen können. Deren Verhängung hätte die Vorschrift des § 14 BDO entgegengestanden, so dass das Verfahren habe eingestellt werden müssen.

3. Gegen dieses Urteil hat der Bundesdisziplinaranwalt Berufung eingelegt, sie auf das Disziplinarmaß beschränkt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen.


II. Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts hat Erfolg und führt zur Aberkennung des Ruhegehalts des Ruhestandsbeamten.

Die Auffassung des Bundesdisziplinargerichts, die disziplinare Bewertung richte sich nach den Grundsätzen des Diebstahls zum Nachteil des Dienstherrn und nicht nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen eines Zugriffsdelikts, ist unzutreffend. Die Qualifizierung, ob ein Fehlverhalten ein Zugriffsdelikt darstellt oder nicht, ist Bestandteil der Erwägungen zum Disziplinarmaß. Die rechtliche Einordnung als Zugriffsdelikt hängt zwar maßgeblich vom Umfang der Feststellungen zum Sachverhalt ab. Das Urteil des Bundesdisziplinargerichts enthält jedoch keine Feststellungen, die eine andere Qualifizierung als die eines Zugriffsdelikts ermöglichen. Insbesondere hängt die Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, ob einem Beamten dienstliche Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind. Dem Ruhestandsbeamten war der entwendete Brief dienstlich zugänglich. Dies ist der Fall, wenn er auf den Brief aufgrund seiner von ihm wahrzunehmenden Aufgaben im Rahmen seiner Dienstausübung ohne weiteres tatsächlich zugreifen konnte. Davon ist hier auszugehen.

Ein Postbeamter, der eine ihm dienstlich zugängliche Postsendung in der Absicht öffnet, den vorgefundenen Inhalt für sich zu behalten, erschüttert regelmäßig das Vertrauensverhältnis derart nachhaltig, dass er nicht im Dienst belassen werden kann. Die Post ist in hohem Maße auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten im Umgang mit Beförderungsgut angewiesen, weil eine lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters nicht möglich ist. Wer sich als Beamter über diese aus leicht erkennbarer Notwendigkeit begründete Pflicht zur Vertrauenswürdigkeit unter Missbrauch seiner Kontrollbefugnisse hinwegsetzt, beweist im Kernbereich seiner Pflichten ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit und Vertrauensunwürdigkeit, dass er grundsätzlich mit der einseitigen Auflösung des Dienstverhältnisses rechnen muss.

Mit dem Öffnen des Briefes und der Entwendung des darin befindlichen Geldes hat der Ruhestandsbeamte zusätzlich das Postgeheimnis verletzt. Die vertrauliche Behandlung der Briefsendungen gehört zu den unabdingbaren Voraussetzungen eines geordneten Postbetriebs. In der schuldhaften Verletzung des Postgeheimnisses durch Postbedienstete liegt deshalb ein Dienstvergehen, das für sich allein bereits geeignet ist, bei einem aktiven Beamten die Grundlage des Beamtenverhältnisses zu zerstören. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Postgeheimnis mit dem Ziel verletzt wird, Zugang zu aneignungsfähigem Inhalt von Postsendungen zu gewinnen (vgl. zu allem Urteil vom 14.11.01, BVerwG 1 D 9. 01).

Falls sich der Ruhestandsbeamte im aktiven Dienst befände, wäre seine Entfernung aus dem Dienst unerlässlich. In einem solchen Fall ist bei Ruhestandsbeamten regelmäßig die Aberkennung des Ruhegehalts auszusprechen. Beim Zugriff auf den Inhalt dienstlich zugänglicher Briefsendungen kann von der Höchstmaßnahme nur abgesehen werden, wenn ein in der Rechtsprechung anerkannter Milderungsgrund vorliegt. Dies ist hier letztlich nicht der Fall.

In Betracht kam der Milderungsgrund der Geringwertigkeit. Zwar nimmt der Senat diesen Wert nunmehr mit etwa 50,00 € an und das entwendete Geld in Höhe von 50,00 DM läge unter diesem Wert. Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes ist jedoch weiter, dass ein Beamter nicht durch sein sonstiges Verhalten oder die konkrete Tatausführung zusätzlich belastet ist, dass durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Schutzgüter verletzt werden. Mit dieser Voraussetzung für die Anwendung des Milderungsgrundes sollte in erster Linie die Vertraulichkeit des Inhalts von Post- und Bahnsendungen unabhängig vom Wert ihres Inhaltes geschützt bleiben (stRspr, vgl. Urteil vom 11.06.02 BVerwG 1 D 31. 01, BVerwGE 116, 308 = DÖV 2003, 33). Gerade wenn die Überführung eines Täters wie hier Probleme bereitet und nur mit einer Videoüberwachung oder der Einschleusung von Fangbriefen möglich erscheint, hätte es sonst auch die Betriebssicherung in der Hand, durch Einschleusen großer oder kleiner Geldscheine die Wertgrenze zu über- oder unterschreiten. Die Höhe des veruntreuten Geldes kann in derartigen Fällen nicht entscheidend sein.

Auch wenn die Überführung des Ruhestandsbeamten letztlich darauf beruht, dass er die Unterschlagung der 50,00 DM zugegeben hat und ein Geständnis auch in einem Disziplinarverfahren grundsätzlich geeignet sein kann, als mildernder Gesichtspunkt berücksichtigt zu werden, so gilt dies nach ständiger Rechtsprechung nicht bei einem als Zugriffsdelikt einzustufenden Dienstvergehen. Das "Geständnis" eines Beamten ist in derartigen Fällen nur dann disziplinar erheblich, wenn es sich u. a. als freiwillige, d. h. nicht durch Furcht vor Entdeckung bestimmte vollständige und vorbehaltlose Offenbarung des Fehlverhaltens vor Entdeckung der Tat darstellt (vgl. Urteil vom 23.05.01, BVerwG 1 D 12. 00). Dies ist hier nicht der Fall. Der Ruhestandsbeamte hat erst nach Konfrontierung mit den Videoaufzeichnungen und der Mitteilung, dass ein Fangbrief nicht angekommen sei, die Beraubung eines Briefes zugestanden.

Für das Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation gibt es keine Anhaltspunkte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann von der Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme abgesehen werden, wenn die Dienstverfehlung als Folge einer schockartig ausgelösten psychischen Ausnahmesituation des Beamten zu werten ist. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen, unvorhergesehenen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensverhältnisse des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu einem schockbedingten Fehlverhalten führt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Zugriff des Ruhestandsbeamten auf eine Briefsendung Ausdruck eines schockartigen Erlebnisses war.

Entgegen der Auffassung des Bundesdisziplinargerichts lag auch keine verminderte Schuldfähigkeit des Ruhestandsbeamten vor. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat im Gegenteil sogar die Eingangsvoraussetzungen der §§ 20, 21 StGB für eine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausdrücklich verneint. Im Übrigen kann auch eine verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einem Zugriffsdelikt und der Verletzung leicht einsehbarer Kernpflichten nicht zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme führen (vgl. Urteil vom 23.10.02, BVerwG 1 D 5. 02).


Die Aberkennung des Ruhegehalts erweist sich auch im Übrigen als verhältnismäßig.
Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung. Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten verfolgen neben der Pflichtenmahnung die Zwecke der Generalprävention, der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Dienst geboten ist, erweist sich die Höchstmaßnahme gegenüber dem Ruhestandsbeamten als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken von Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. So liegt es bei Zugriffsdelikten. In diesem Fall ist die Aberkennung des Ruhegehalts auch angemessen. Dabei kommt es nicht auf das Verhältnis zwischen den von dem Ruhestandsbeamten durch das Dienstvergehen erlangten Vorteilen und den durch die Disziplinarmaßnahme bewirkten Nachteilen an. Abzuwägen sind vielmehr das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastungen andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Sie beruht auf der schuldhaften Pflichtverletzung während der aktiven Dienstzeit und ist dem späteren Ruhestandsbeamten daher als bei Begehung vorhersehbar zuzurechnen (stRspr, vgl. Urteil vom 15.08.00, BVerwG 1 D 44. 98, ZBR 2001, 47 = NVwZ-RR 2001, 249; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21.12.1988 - BVerfG 2 BvR 1522/ 88). Dabei ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Ruhestandsbeamte mit der Aberkennung des Ruhegehalts keineswegs ohne Versorgung dasteht. Denn er ist in der Rentenversicherung nachzuversichern (§ 9 Abs. 4 AVG, § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 SGB VI).

Einen Unterhaltsbeitrag konnte der Senat dem Ruhestandsbeamten nicht bewilligen. Zwar ist er einer Unterstützung nicht unwürdig. Er ist jedoch mit Blick auf das Einkommen seiner Ehefrau und seiner Vermögensverhältnisse derzeit nicht bedürftig. Sollte sich eine Bedürftigkeit ergeben, so ist ihm ein Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages nicht abgeschnitten. Solange er keine Erwerbsarbeit und keine auf der Nachversicherung durch den Dienstherrn beruhende Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält (vgl. hierzu Beschluss vom 27.02.01, BVerwG 1 DB 7. 01), kann er jederzeit bei bestehender Bedürftigkeit beim Bundesdisziplinargericht und nach dessen Auflösung zum 31.12.03 bei dem dann zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrages stellen.
Disziplinarrecht / Übersicht
A. Grundlagen Dienstvergehen: Einführung Gesetzesgrundlage Pflichtenverstoß innerdienstlich/außerdienstlich? Bagatelle kein Dienstvergehen Einheit des Dienstvergehens Versuch des Dienstvergehens Schuldfähigkeit Schuldunfähigkeit Verminderte Schuldfähigkeit? BVerwG 2 c 59.07
Schwerbehinderte Beamte Pensionierung
B. Beispiele Alkoholabhängigkeit Anabolika Bestechlichkeit Diebstahl im Dienst / Spielsucht Diebstahl außerdienstlich Drogendelikt / Beihilfe Drogenerwerb Eigentumsdelikt im Dienst fehlerhafte Arbeitsweise Fernbleiben vom Dienst Flucht in die Öffentlichkeit Meineid Nebentätigkeit sexuell Motiviertes Sonderrechtsfahrt/ Unfall Steuerhinterziehung Kein Streikrecht für Beamte Trunkenheitsfahrt Unfallflucht als Dienstvergehen Untreue, § 266 StGB Verfassungstreue Verrat von Dienstgeheimnissen Vorteilsnahme Vorteilsnahme 2

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