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Dienstunfall des Beamten, Abgrenzung zur Privatsphäre

Der Dienstunfall muss sich in Ausübung des Dienstes oder infolge des Dienstes ereignet haben.

Dieses Merkmal wird vom Gesetz umschrieben und dabei teils erweitert, so dass letztlich ein Bild von einem geschützten Lebensbereich entsteht, der die dienstlich verankerte Risikosphäre darstellt und sich von dem dienstunfallrechtlich nicht geschützten privaten Leben abgrenzen lässt. Wie Sie alle wissen, gibt es immer wieder Fallgestaltungen, die genauer Bewertung des Einzelfalles bedürfen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Grundsätze in einem Beschluss vom 25.07.14 einmal recht abstrakt, aber zugleich in großer Klarheit dargestellt.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.07.14 - 2 B 62.13 -

Zum Unfallzeitpunkt war das Beamtenversorgungsgesetz in der Überleitungsfassung von Schleswig-Holstein vom 20.07.09 (GVOBl S. 506, 516) in Kraft. Es enthielt in Übereinstimmung mit den Regelungen zum Dienstunfall im Bund und in anderen Bundesländern die gesetzliche Definition des Dienstunfalls als eines auf äußerer Einwirkung beruhenden, plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignisses, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist (§ 31 Abs. 1 Satz 1), und die Einbeziehung der Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen und das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle in den Dienstbegriff (§ 31 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und § 31 Abs. 2 Satz 1).

Die rechtlichen Voraussetzungen eines Dienstunfalls sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
Danach umfasst der Dienst grundsätzlich alle Tätigkeiten, die der Beamte im Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben des Dienstpostens ausübt. Die Dienstgeschäfte können dem Beamten durch Gesetz, durch Verordnung oder durch generelle und spezielle dienstliche Weisungen übertragen werden. Zum Dienst gehören grundsätzlich auch Dienstreisen, Dienstgänge, dienstliche Veranstaltungen und bestimmte Nebentätigkeiten.

Außerhalb des durch Dienstzeit und Dienstort geprägten Geschehensablaufes ist hingegen von dem privaten Lebensbereich des Beamten als vorgegeben auszugehen. Hier müssen neben der subjektiven Vorstellung des Beamten, in Ausübung oder im Interesse des Dienstes zu handeln, besondere objektive Umstände festgestellt werden, die den Schluss rechtfertigen, dass die fragliche Verrichtung des Beamten nicht der vorgegebenen Privatsphäre, sondern dem dienstlichen Bereich zuzurechnen ist. Diese Umstände müssen die wesentliche (objektive) Ursache der Verrichtung sein, bei der der Beamte den Unfall erleidet (stRspr; Urteil vom 03.11.1976 - BVerwG 6 C 203.73 - BVerwGE 51, 220 <222> m.w.N.; Beschluss vom 22.06.05 - BVerwG 2 B 107.04 - Rn. 10).

Das gesetzliche Merkmal „in Ausübung oder infolge des Dienstes“ verlangt eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Ereignisses mit dem Dienst. Maßgebend hierfür ist der Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Unfallfürsorgeregelung. Dieser liegt in einem über die allgemeine Fürsorge hinausgehenden besonderen Schutz des Beamten bei Unfällen, die außerhalb seiner privaten (eigenwirtschaftlichen) Sphäre im Bereich der in der dienstlichen Sphäre liegenden Risiken eintreten, also in dem Gefahrenbereich, in dem der Beamte entscheidend aufgrund der Anforderungen des Dienstes tätig wird (Urteil vom 29.08.13 - BVerwG 2 C 1.12 - NVwZ-RR 2014, 152 Rn. 10 m.w.N.).

Ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Regelung und dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn kommt dem konkreten Dienstort des Beamten eine herausgehobene Rolle zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich zählt der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind dem Dienstherrn zuzurechnen, unabhängig davon, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, dienstlich geprägt ist. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall, dass diese Tätigkeit vom Dienstherrn verboten ist oder dessen wohlverstandenen Interessen zuwiderläuft (Urteil vom 29.08.13 a.a.O. Rn. 11 m.w.N.).

Dienstort im dienstunfallrechtlichen Sinne ist derjenige Ort, an dem der Beamte die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben zu erledigen hat. Sind dem Beamten für gewisse Zeit Aufgaben zugewiesen, die er nicht an seinem üblichen Dienstort, insbesondere nicht an seinem Arbeitsplatz in einem Dienstgebäude, sondern an einem anderen Ort wahrnehmen muss, so wird dieser Ort für die Dauer der Aufgabenerledigung vorübergehend Dienstort (Urteil vom 29.08.13 a.a.O. Rn. 12 m.w.N.).
Mit dem Merkmal „infolge des Dienstes“ werden die Fälle erfasst, in denen die den Dienstunfall kennzeichnende Kausalkette zwischen dem den Schaden auslösenden Ereignis und dem Eintritt des Körperschadens zwar während der Erfüllung der Dienstobliegenheiten durch den Beamten begonnen, aber erst nach deren Abschluss ihr Ende gefunden hat.

[Das Gericht wendet sich dann den Fragen des konkreten Falles zu, in dem es darum ging, ob sich der Unfall auf dem Weg zu einer dienstlichen Veranstaltung ereignete.]

Durch die ausdrückliche Aufführung der dienstlichen Veranstaltung hat der Gesetzgeber den gesetzlichen Dienstunfallbegriff nicht erweitert. Es sollte lediglich klargestellt werden, dass neben dem eigentlichen Dienst auch dienstliche Veranstaltungen zum Dienst gehören.
Veranstaltungen sind kollektive - für alle Beamten des Dienstherrn oder einer Behörde oder für einen bestimmten Kreis von Bediensteten - geschaffene Maßnahmen oder Einrichtungen. Die Veranstaltung muss formell und materiell dienstbezogen sein (vgl. Urteile vom 19.04.1967 - BVerwG 6 C 96.63 -, vom 13.08.1973 - BVerwG 6 C 26.70 - und vom 31.01.1974 - BVerwG 2 C 7.73 -). Um ihre entscheidende Prägung durch die dienstliche Sphäre zu erhalten, muss eine Veranstaltung im Zusammenhang mit dem Dienst stehen, dienstlichen Interessen dienen und, sei es unmittelbar oder mittelbar, von der Autorität eines Dienstvorgesetzten getragen und damit in den weisungsgebundenen Dienstbereich einbezogen sein (Urteil vom 29.08.13 a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
Für die materielle Dienstbezogenheit kommt es entscheidend auf den Zusammenhang der Veranstaltung mit den eigentlichen Dienstaufgaben und dabei wiederum wesentlich darauf an, ob die Veranstaltung dienstlichen Interessen dient. Formell muss die Veranstaltung vom Dienstherrn in die dienstliche Sphäre einbezogen und damit unmittelbar oder mittelbar von der Autorität eines Dienstvorgesetzten des Beamten getragen und in den weisungsgebundenen Bereich einbezogen sein. Das erfordert nicht in jedem Falle, dass die Veranstaltung vom Dienstvorgesetzten selbst getragen und durchgeführt wird; er kann damit auch andere Personen beauftragen (Urteil vom 23.02.1989 - BVerwG 2 C 38.86 - BVerwGE 81, 265 <267>).
Hieraus wird deutlich, dass bei der Frage, ob eine - hier allein in Betracht kommende - dienstliche Veranstaltung im Sinne des Dienstunfallrechts vorliegt, stets eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der in der angeführten Rechtsprechung genannten Kriterien stattzufinden hat. Das gilt auch für das Aufsuchen eines Integrationsfachdienstes durch einen Beamten.

Integrationsfachdienste sind Dienste, die bei der Durchführung von Maßnahmen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben beteiligt werden (§ 109 Abs. 1 SGB IX). Sie können sowohl die schwerbehinderten Menschen als auch die Arbeitgeber beraten (§ 110 Abs. 1 SGB IX). Sie werden tätig im Auftrag der Integrationsträger oder der Rehabilitationsträger (§ 111 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) und arbeiten insbesondere mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Arbeitgeber zusammen (§ 111 Abs. 3 SGB IX). Im Auftrag legen Auftraggeber und Integrationsfachdienst Art, Umfang und Dauer des im Einzelfall notwendigen Einsatzes sowie das Entgelt fest (§ 111 Abs. 2 SGB IX). Die bei den freien Trägern angesiedelten Integrationsfachdiensten sollen die gesetzlichen Leistungsträger bei der Beratung und Betreuung im Vorfeld der Arbeitsaufnahme, bei der Erstellung von Leistungsprofilen, bei der Arbeitsplatzsuche, im Bewerbungsverfahren und nach der Arbeitsaufnahme bei der Stabilisierung und Sicherung der Arbeitsverhältnisse unterstützen (vgl. § 110 Abs. 2 SGB IX; Ernst, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX Stand Januar 2014, Vor § 109 SGB IX, Rn. 1).
Vor diesem Hintergrund kann die auf eigener Initiative beruhende Inanspruchnahme der Unterstützung eines Integrationsfachdienstes durch einen Beamten - also ohne dienstliche Anordnung oder Vereinbarung etwa im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 SGB IX (vgl. zum betrieblichen Eingliederungsmanagement bei Beamten Urteil vom 05.06.14 - BVerwG 2 C 22.13 - allenfalls in einem besonderen Ausnahmefall die dargelegten Anforderungen eines Dienstunfalls erfüllen. Es bedarf stets der  Einzelfallprüfung an Hand der dargelegten Kriterien.
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