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Gaußsche Kurve als Vorgabe für die dienstlichen Beurteilung des Beamten

Es ist allgemein üblich und auch akzeptiert, dass gewisse Vorgaben für die Verteilung der Endnoten gemacht werden. Meist werden Prozentsätze für die ersten beiden Notenstufen vorgegeben, in der Summe landet man oft bei 35%, die nicht überschritten werden sollen. Schon das bereitet in der Umsetzung bisweilen Probleme.

In Hamburg hatte sich die Polizei seit Herbst 2007 aber sogar dafür entschieden, die Sache "ganz wissenschaftlich" anzugehen und eine Verteilung der Beurteilungsnoten anzustreben, welche der Gaußschen Kurve nahe kommt. Ob man den alten Gauß da richtig verstanden hatte, mag höchst fraglich sein.

Die Vorgabe, dass die Beurteilungsergebnisse so verteilt werden müssten, dass ich eine Gaußsche Kurve ergebe, ist jedenfalls ein anderes Prinzip als jenes der Vorgabe von Quoten für die Bestnote usw.
Denn dieses Modell geht davon aus, dass jedem sehr guten Beamten ein sehr schlechter gegenüber steht, so dass sich die Noten bei einer Spanne von 1 bis 5 dem Durchschnitt von 3,0 einpendeln.
Der Dienstherr, der so vorgeht, scheint zu meinen, er habe insgesamt durchschnittliches Personal.
Aus den inzwischen nicht mehr geltenden Beurteilungsrichtlinien der Polizei Hamburg, Ziffer 10.1:
"Als Maßstabsorientierung bei der Leistungsbeurteilung dient die Verständigung über die Leistung, die erbracht werden soll, um den Punktwert 3 (entspricht den Anforderungen) zu erhalten. Davon ausgehend sollten schwächere oder bessere Leistungen eingeschätzt werden. ...
Um eine Vergleichbarkeit der Beurteilungen und die damit verbundene Notwendigkeit der Maßstabswahrung zu gewährleisten, wirken die 8eurteiler darauf hin, dass sich die Gesetzmäßigkeiten der Gauß'schen Normalverteilungskurve ... in der Gesamtschau der Beurteilungen in ihren Bereichen wieder finden lassen."

Nach diesem Modell gibt es, so meinte die Polizei Hamburg, eine regelmäßig wiederkehrende, zahlenmäßig gleiche Verteilung des Leistungsvermögens von Beschäftigten nach folgendem Verteilungsmuster:
"Bei realitätsnaher Betrachtung und Bewertung der Leistungen des Einzelnen sowie unter Berücksichtigung der am Arbeitsplatz jeweils zugrunde liegenden Anforderungen bewegen sich etwa 2,27 % der Mitarbeiter im Spitzenleistungsbereich (Endnote 4,30 bis 5) und etwa 13,59 % im sog. 8esser-/ oder Gutbereich (Endnote 3,70 bis 4,29). Die meisten Mitarbeiter, und zwar 68,26 %, befinden sich im Normal-/ Durchschnittsbereich (Endnote 2,30 bis 3,69), d.h. dass diese die Anforderungen des Arbeitsplatzes im vollen Umfang erfüllen, sie somit "die richtigen Mitarbeiter am richtigen Arbeitsplatz" sind. Für den Bereich der defizitären Leistungen gelten dieselben Werte wie für den Besser-/ Gutbereich (13,59 %) und den Spitzenleistungsbereich (2,27%). "

Danach müssten 15,86% der Polizeibeamten der Hansestadt Hamburg mit der Endnote 3,70 oder schlechter zu beurteilen sein, also knapp jeder 7. Beamte erbringt nur "defizitäre Leistungen".
Wer wollte das glauben?
Und wenn man dann noch zur Kenntnis nimmt, dass nach Meinung der Polizei nicht befördert werden durfte, wer weniger als 2,70 Punkte erhielt, dann wurde ein großer Teil der Belegschaft abqualifiziert.

Ein solches System ist unbrauchbar. Es übersieht völlig, dass die Polizeibeamten der Hansestadt Hamburg eben nicht den Durchschnitt der Bevölkerung widerspiegeln. Sie haben sich in Auswahlverfahren durchgesetzt, sind ausgebildet und trainiert worden, haben im Dienst über Jahre an Erfahrung gewonnen. Defizitäre Leistungen dürften der seltene Ausnahmefall sein.
Auch ist es eine Illusion, dass sich menschliche Eignungen und Fähigkeiten so exakt sollten messen lassen, dass sich am Ende eine Annäherung an ein mathematisches Modell ergeben wird.
Dementsprechend hat das System 2010 sein Ende gefunden. Man war drei Jahre lang in die Irre gelaufen.


Das Gaußsche Verteilungsprinzip eignet sich jedenfalls nicht in seiner mathematisch-exakten Form als Mittel für eine Richtwertbestimmung.
Schnellenbach schreibt in seinem unverzichtbaren Werk "Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter" unter RN 404, das Bundesverwaltungsgericht habe "die Gaußsche Normalverteilung ... gänzlich unerwähnt" gelassen, und zwar zu Recht, weil es den Dienstherrn nicht in der Rolle desjenigen sehe, "der eine rechtlicher und rechtspolitischer Verfügungsmacht entzogene anthropologische Gesetzmäßigkeit (nur) erkennt und (mehr oder weniger vereinfacht bzw. vergröbert) kundgibt."

Man befasse sich zum Thema "anthropologische Gesetzmäßigkeit" nur einmal mit den Ausführungen in dem Buch von Siegfried Grubitzsch, Testtheorie - Testpraxis, 2. Auflage 1999, S. 137 ff.. Dort wird in wenigen Worten dargestellt, dass es nicht möglich ist, einem Beurteilungssystem eine Gauß´sche Kurve überzustülpen.
Die von der Polizei Hamburg ihrem Beurteilungssystem unterlegte "statistische Gesetzmäßigkeit" gibt es ganz einfach nicht. Ein Beispiel, das bisweilen gewählt wird, um dem blinden Glauben an die Gaußsche Kurve vorzubeugen, ist folgendes: Würden Sie glauben, dass der IQ von Universitätsprofessoren im Schnitt genau der Verteilung des IQ in der Gesamtbevölkerung entspricht?
Die Antwort überlassen wir Ihrer Intelligenz ...
Kurzes Fazit: die Gaußsche Kurve (bisweilen auch Normalverteilung genannt) gilt nicht absolut für alle Lebensbereiche und sämtliche gesellschaftlichen Erscheinungen, insbesondere auch nicht für Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten.
Die "Meßobjekte" dienstlicher Beurteilungen sind nicht die Eigenschaften selbst, sondern Verhaltensweisen, in denen sie sich äußern. Dazu meint Grubitzsch (aaO, S. 140):
"Verhalten ist von so vielen und je nach Individuum derart unterschiedlichen Einflussgrößen situativer, interaktiver, kommunikativer Art mitgeprägt, dass ... die Annahme einer Normalverteilung ins Absurde vorstößt."
Die Polizei Hamburg übersieht außerdem, dass die Gaußsche Verteilungskurve spitzer oder flacher verlaufen kann und dass ihr Scheitelpunkt nicht unbedingt genau in der Mitte einer Skala liegen muss.

Beenden wir den Diskurs mit einem recht plastischen Beispiel von Grubitzsch (aaO, S. 144):
Eine Lehrerin, die nach Durchsicht der Klassenarbeiten die Aufgabenbewertung ändert, weil sonst zu viele gute und sehr guten Noten verteilt würden, produziert die Mittelmäßigkeit der Schüler künstlich.
So geht die Polizei Hamburg vor: sie presst alles unter eine Kurve, was zu großen Ungerechtigkeiten führen kann.

Die Gerichte belassen es, wenn sie sich überhaupt mit der Gaußschen Kurve auseinandersetzen, in aller Regel bei kurzen Anmerkungen.
Etwa das OVG Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 19.09.03 - 2 A 10795/03.OVG -:

"
Schließlich steht es dem Dienstherrn in Anlehnung an den Leistungsdurchschnitt frei - wiederum im Rahmen des ihm zukommenden Ermessens -, Richtwerte erfahrungsorientiert aufzustellen. Die Durchschnittswerte dürfen allerdings nicht statistisch als absolute Größen im Sinne der Gaußschen Normalverteilungskurve missverstanden werden. Ausreichend ist es aber, wenn ihre Festsetzung jedenfalls nicht erfahrungsunabhängig oder gar erfahrungswidrig erfolgt."



Aber wie immer, so gibt es auch in diesem Punkt in der Juristerei mindestens zwei Meinungen.
Das OVG Lüneburg stellt sich zu dieser Frage wie folgt:

OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.10.2009 - 5 ME 175 / 09 -

Soweit der Antragsteller die fehlende Einzelfallgerechtigkeit bei der Erstellung der Beurteilungen zum Stichtag 31.08.08 wegen der Beachtung der Gauß´schen Normalverteilungskurve rügt, weil es jeglicher Erfahrung und realitätsnahen Annahme widerspreche, davon ausgehen zu wollen, dass bei über 14.000 Beurteilten landesweit ein statistisches Endergebnis eintrete, das geradezu idealtypisch der Gauß´schen Normalverteilungskurve entspreche, vermag dieses Vorbringen ebenfalls seinem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn der Dienstherr durch die Angabe eines in der betreffenden Verwaltung insgesamt erwarteten Verhältnisses der Noten - hier unter Berücksichtigung der Gauß´schen Normalverteilungskurve - deren von ihm gewollten Inhalt und damit die anzuwendenden Maßstäbe näher bestimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.11.1997 - BVerwG 2 A 1.97 -, DVBl. 1998, 638, das die Vorgabe von Notenquoten als Richtsätze bezeichnet; ihm folgend Nds. OVG, Beschluss vom 06.08.09 - 5 LA 51/08 -).

Im Übrigen setzt sich das Vorbringen des Antragstellers nicht mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander, das im Einzelnen ausgeführt hat, aus welchen Gründen dem Antrag nicht aufgrund eines angeblichen Systemfehlers wegen der Bezugnahme auf die Gauß´sche Normalverteilungskurve stattzugeben sei (BA S. 6 f.).



Hinzuweisen ist darauf, dass in den Beurteilungsrichtlinien der Polizei Niedersachsen (BRLPol) laut RdErl. d. MI v. 11.07.08 - P 25.22-03002 (Nds.MBl. Nr.28/2008 S.782) - VORIS 20400 - folgende Regelung enthalten ist:

5.1.1 Maßstabsbildung

Um eine Vergleichbarkeit der Beurteilungen und die damit verbundene Notwendigkeit der Maßstabswahrung zu gewährleisten, wirken die Beurteilenden darauf hin, dass sich die Gesetzmäßigkeiten der Gaußschen Normalverteilungskurve in der Gesamtschau der Beurteilungen in den jeweiligen Vergleichsgruppen wiederfinden lassen.

Dazu findet sich dort eine Anmerkung, die wie folgt lautet:

Nach diesem Modell gibt es eine regelmäßig wiederkehrende, zahlenmäßig gleiche Verteilung des Leistungsvermögens von Beschäftigten. Die meisten Beschäftigten befinden sich im Normal- bzw. Durchschnittsbereich, d.h., dass diese den Anforderungen des Arbeitsplatzes voll entsprechen.


Dieser Hinweis gibt uns Gelegenheit zu der Anmerkung, dass wir Ihnen hier nicht irgendeine "Wahrheit" verkünden wollen, sondern eine juristische Meinung darlegen.
Die niedersächsische Polizei und das OVG Lüneburg sind eben anderer Auffassung als wir.
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